Des Drachens grauer Atem
ihn höflich ein, Platz zu nehmen, in einem Stahlrohrsessei. Dann griff sie zum Telefon, und Wilkers dachte darüber nach, wie wohl das Leben eines solchen Mädchens aussehen mochte. War sie vielleicht schon eine junge Frau? Was tat sie, wenn sie nicht hier saß und Besucher anmeldete? Worüber sprach sie mit ihrem Freund oder mit ihrem Mann? Hatte sie Sorgen? Oder lebte sie in dieser Umgebung, ohne sich Gedanken über das zu machen, was um sie herum war?
Sie bat ihn, sich noch ein wenig zu gedulden, während sie auf die Verbindung wartete. Ein freundliches Lächeln, das nicht von den Augen ausging, die hinter den dunklen Gläsern versteckt waren, sondern von den Mundwinkeln, die sich leicht verzogen. Ein Geschöpf dieser Stadt. Soll man aus ihrem kurzen Kleid den Schluss ziehen, dass sie leichtfertig ist? Oder hat sie sich einfach einer Lebensform angepasst, die in Mode gebracht wurde? Sind das Kleid und die Brille, das offenbar von einem geschickten Friseur gepflegte schwarze Haar und das freundliche Lächeln mehr eingeübte Routine als Ausdruck ihrer eigenen Denkweise? Man müsste länger hier leben, dachte er. Man müsste die Seele dieser Menschen erforschen, wenn es sie unter der Oberfläche von Chrom und Neon, von Chicagoer Kattun und Gesichtscreme noch gibt. Ich bin sicher, es gibt sie. Aber es wird schwer sein, sie zu entdecken.
Sechs Stockwerke über der Halle betätigte in diesem Augenblick ein etwa fünfzig Jahre alter, untersetzter Amerikaner, der hinter einem schweren Schreibtisch saß, einen kleinen Schalter. Auf einem der vier Bildschirme, die in die Wand eingebaut waren, erschien das Bild des Professors, der in dem Stahlrohrsessel saß. Der Amerikaner betrachtete den Besucher eine Weile. Das Büro, in dem er sich befand, war von einer ausgezeichneten Klimaanlage gekühlt. Die Einrichtung war aus Teakholz. Neben einer Anzahl technischer Einrichtungen war das Zimmer noch mit bequemen Sesseln und einem kleinen runden Tisch ausgestattet. Fotografierte Landschaften aus den Vereinigten Staaten schmückten die Wände, und das verlieh dem Raum eine Nüchternheit, die durch die beiden gekreuzten Sternenbanner hinter dem Schreibtisch unterstrichen wurde.
„Schicken Sie ihn herauf", sagte der Amerikaner in die Sprechanlage. Dann schaltete er das Bild ab. Der Mann wirkte genau so nüchtern wie seine Umgebung. Er trug ein gestreiftes Hemd mit einem Seidenschlips; jetzt zog er das Jackett über, das er einem eingebauten Garderobenschrank entnahm. Er griff nach einer Zigarre, aber er zündete sie nicht an, sondern ging zu einem der großen Fenster und blickte durch die Scheiben auf die Straße hinab. Die Hände auf den Rücken gelegt, wippte er leicht mit den Fußspitzen. Er war weder erregt noch verärgert, er war auch durch den Besuch nicht überrascht. Mister Everett Warren, leitender Resident der Central Intelligence Agency in Bangkok, hatte den Professor Leo Wilkers erwartet. Ein Wissenschaftler, Arzt. Schweizer. Mitglied der internationalen Kommission für die Bekämpfung des Drogenmissbrauchs, die ihren Sitz in New York hatte. Keiner von den eifrigen jungen Karriereleuten. Fünfzig vielleicht. Er wirkte gelassen, soweit man das auf dem Bildschirm erkennen konnte. Jedenfalls ein älterer Mann, ohne die Illusion, Rom an einem Tage zu erbauen. Nun ja, man hatte solche Leute aus internationalen Gremien oft genug erlebt. Dieser hier würde auf die Freuden der Bangkoker Badehäuser verzichten, er würde auch kaum in die Gefahr zu bringen sein, über dem Lächeln einer Barfrau sein Anliegen zu vergessen. Vermutlich würde er nicht einmal viel Zeit damit vergeuden, nach echten Antiquitäten zu suchen; ein paar Souvenirs vielleicht für die Frau oder die Töchter zu Hause. Dinge, die zwischen dem Touristenkitsch lagen und dem teuren, kunsthistorisch wertvollen Sammlerstück. Wir werden sehen.
Mister Warren drehte sich um, als die gepolsterte Tür von seiner Sekretärin geöffnet wurde. Miss Perkins war noch nicht lange in Bangkok. Wie die meisten Neulinge, musste sie sich erst an das Klima gewöhnen. Gegenwärtig war sie so erkältet, dass sie näselnd sprach, was nicht gerade dazu beitrug, ihre Attraktivität zu fördern. Miss Perkins war ein farbloses, dürres, flachbrüstiges Geschöpf, dessen Wert in seiner absoluten Zuverlässigkeit lag. Man war nicht einmal genötigt, ihre Liebhaber zu überprüfen, sie hatte keine. Miss Perkins verbrachte ihre Freizeit mit dem Hören von Schallplatten. Klassische
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