Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Frage, wie man mit den Divergenzen zwischen den Mitgliedsländern umgehen will. Von zentraler Bedeutung
sind dabei die außenwirtschaftlichen Bilanzen der Mitgliedsländer. An ihnen zeigt sich – zumindest auf Dauer –, ob es Verstöße
gegen die Stabilität des gesamten Währungsraums gibt. Dieser Gedanke ist, obwohl einige Wissenschaftler schon seit Jahren
darüber diskutieren, in der europäischen Wirtschaftspolitik erst seit Kurzem verankert. Erst die Krise um Griechenland und
andere Länder hat zahlreiche Politiker aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Bis dahin waren sie der Meinung, dass es innerhalb
eines Währungsgebiets keine Leistungsbilanzkrisen geben könne, weil es ja keine Wechselkurse mehr gibt, deren Schwankungen
für heftige Turbulenzen sorgen können.
Aber es gibt nach wie vor eine Leistungsbilanz zwischen den Mitgliedsstaaten. In dieser Leistungsbilanz taucht der Geldwert
sämtlicher Transaktionen an Gütern und Dienstleistungen zwischen dem Mitgliedsland und dem Ausland auf. Ist die Leistungsbilanz
eines Mitgliedslandes über einen längeren Zeitraum negativ, heißt das, dass die entsprechende Volkswirtschaft sich immer mehr
im Ausland verschuldet, weil sie mehr Waren und Dienstleistungen importiert als exportiert. Kurzfristig ist dies kein Problem.
Entweder ist genügend Vermögen im Ausland vorhanden oder die Verschuldung ist noch nicht sehr hoch oder man erwartet, dass
künftiges Wachstum die Schuldenlast wieder abtragen hilft. Tritt eine der Lösungen ein, ist die Welt weiter in Ordnung. Bleiben
die Defizite jedoch auf Dauer bestehen, wächst die Gefahr, dass eine Grenze erreicht wird, ab der die Finanzmärkte die Solvenz
dieser Volkswirtschaft infrage stellen.
Wo es Defizite gibt, da müssen auch Überschüsse sein. Diese entstehen in Volkswirtschaften, die mehr exportieren, als sie
importieren; sie häufen also Vermögen im Ausland an. Das klingt positiv und ist es auf kurze Sicht auch. Auf längere Sicht
entsteht für diese Länder jedoch gleichfalls ein Problem. Denn: Wenn die Welt in dauerhafte Schuldner und dauerhafte Gläubiger
zerfällt, und die |246| Schuldner werden irgendwann als nicht mehr solvent angesehen, dann ist es das Vermögen der Gläubiger, das auf dem Spiel steht.
Ist der Schuldner insolvent, liegt der Schaden auch bei den Gläubigern. Er ist dann besonders groß und besonders ärgerlich,
wenn das Vermögen durch binnenwirtschaftlichen Verzicht erwirtschaftet wurde – zum Beispiel in Form einer zurückhaltenden
Lohnentwicklung. Die Beschäftigten des Gläubigerlandes haben in diesem Fall auf mögliche Einkommenszuwächse verzichtet, um
auf den Auslandsmärkten erfolgreich zu sein. Tritt der Insolvenzfall ein, war dieser Verzicht umsonst.
Das ist die Geschichte Deutschlands im vergangenen Jahrzehnt – und ich kann sie keine Erfolgsgeschichte nennen. Die Welt,
nicht zuletzt deren europäischer Teil, ist tatsächlich in dauerhafte Gläubiger und Schuldner zerfallen – mit den bekannten
Ergebnissen. Es ist auch die Geschichte der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte aus der Perspektive des Euroraums. Während
es für den Handel mit den Ländern außerhalb des Euroraums den Wechselkurs als Anpassungsinstrument gibt und ohnehin eine relativ
ausgeglichene Leistungsbilanz besteht, existiert für den Handel innerhalb des Euroraums nichts Vergleichbares.
Die Hoffnung, dass sich innerhalb des Währungsraums Ungleichgewichte von alleine wieder korrigieren – dass also in den Defizitländern
Löhne und Preise schwächer steigen als in den Überschussländern und sie dadurch ihre Wettbewerbsnachteile ausgleichen können
– hat sich nicht erfüllt. Diese Anpassung konnte nicht oder nur viel zu langsam geschehen, weil der Zinsmechanismus und die
Irrationalität der Märkte dem entgegenwirkten. Der Zinsmechanismus hat eine ganz bestimmte Wirkung: Bei etwa gleichen Nominalzinsen
sind die Realzinsen, die sich unter Berücksichtigung der Inflationsrate ergeben, ausgerechnet in jenen Ländern niedriger,
die hohe Inflationsraten aufweisen. Das verbilligt dort die Finanzierung von Investitionen im Vergleich zu Ländern mit niedriger
Inflationsrate. Man konnte also erwarten, dass die Investitionen in Defizitländern besonders hoch und in Überschussländern
eher niedrig sein würden. Und genauso war es.
|247| Das erzeugt aus Sicht der einzelnen Länder ein Stabilitätsproblem. Vor diesem Hintergrund musste die
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