Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Binnennachfrage in Ländern
mit ohnehin schon hoher Inflationsrate beschleunigt steigen und die Inflation weiter anheizen, während die Binnennachfrage
in den Ländern mit niedriger Inflationsrate eher gedrückt blieb. Aber aus gesamteuropäischer Sicht schien dies kein Problem
zu sein, da ja die Inflationsrate insgesamt mit dem Ziel der Preisstabilität vereinbar war.
Es wäre auf Dauer auch kein Problem entstanden, wenn man die Investitionen in den Defizitländern dazu genutzt hätte, ihre
Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Auf diese Weise hätten sie längerfristig ihre Defizitsituation überwinden können. Aber hier
kommt nun die Irrationalität der Märkte ins Spiel, über die man oft nur den Kopf schütteln kann. Stattdessen wurde nämlich
in Spanien und Irland in immer spekulativere Immobilienprojekte investiert – in Irland spekulierte man zudem mittels Krediten
auf den Finanzmärkten – in Griechenland nutzte der Staat die billigen Kredite, um seine Ausgaben zu finanzieren. Im Grunde
machte jeder, was er wollte, ohne Rücksicht auf die europäische Stabilität.
All das wurde in den Verträgen zur Europäischen Währungsunion nicht als Problem angesehen. Die viel beschworene Stabilität
des Währungsraums wurde allein als gesamteuropäische Preisstabilität verstanden, die – und das steht in Einklang mit der staatskritischen
ökonomischen Orthodoxie – höchstens durch zu hohe Staatsschulden gefährdet werden könnte. Diese viel zu enge Sichtweise hat
sich als fatal erwiesen und im Gefolge der Krise der Finanzmärkte die Krise des Euroraums mitverschuldet. Man muss sich das
einmal klar machen: Es waren, beispielsweise in Irland und Spanien, nicht nur Staatsschulden, die die Stabilität gefährdeten.
Die öffentlichen Haushalte dieser Länder gaben ja keinen Anlass zur Beanstandung. Es ging auch um private Schulden. In Irland
sind es vor allem Bankschulden. Es gibt eben nicht nur eine gesamtwirtschaftliche Irrationalität des politischen Prozesses,
sondern auch eine der Märkte.
|248| Ideen für Europa
Um solche Krisen in Zukunft zu vermeiden, sind grundlegende institutionelle Reformen im Euroraum notwendig. Das erfordert
eine grundsätzliche Entscheidung, für die es zwei Alternativen gibt. Entweder man strebt eine gleichsam nationalstaatliche
Lösung auf der Ebene des Euroraums an. Dann ginge man wechselseitige Transferverpflichtungen ein, die dazu führten, dass die
Länder mit Leistungsbilanzdefiziten Transfers von jenen mit Überschüssen erhielten. Ein Beispiel für einen solchen Prozess,
der unterschiedlich organisiert werden kann, ist der Länderfinanzausgleich in Deutschland. In diesem spiegelt sich die wechselseitige
Verpflichtung wider, sich in einem Bundesstaat zu unterstützen. Eine solche Lösung erscheint mir aus heutiger Sicht für Europa
als eine ferne Utopie. Für viele Regierungen und Einwohner ist sie nicht einmal das. Derzeit dominieren nationale Reflexe
nicht nur den Boulevard, sondern auch die Politik. Eine bundesstaatliche Lösung kann jedenfalls nicht kurzfristig realisiert
werden. Aber angesichts der ewig nervös lauernden Finanzmärkte braucht der Euroraum kurzfristig einen neuen institutionellen
Rahmen, um Vertrauen und Stabilität zu erzeugen.
Also bleibt nur die Alternative, unter souveränen Nationalstaaten Regeln zu vereinbaren. Diese achten – im Idealfall – einerseits
genau diese Souveränität, sichern aber andererseits die wirtschaftliche Stabilität des Euroraums. Dass eine solche Konstruktion
konfliktträchtig ist, liegt auf der Hand. Ich denke in diesem Zusammenhang auch mit Sorge an die Vorliebe der meisten Ökonomen
für mechanische Regeln, die nicht gerade hilfreich sein dürfte. Das hat die Vergangenheit des Stabilitäts- und Wachstumspakts
deutlich gezeigt. Mechanik hilft auch nicht, eine in sich chaotische Ökonomie zu bändigen. Der Gleichgewichtsgedanke, der
in den mechanischen Regeln immer wieder aufscheint, setzt ein Wissen um Wachstumspotenziale und strukturelle Haushaltsdefizite
voraus, das es in Wahrheit überhaupt nicht gibt. Wenn Aussagen über vermeintlich feststehende Strukturgrößen aber beständig
revidiert werden müssen, wird natürlich mit |249| der Zeit die Glaubwürdigkeit des gesamten Konzepts untergraben. Damit gehen genau die Vorteile verloren, die man sich von
diesen Regeln erhofft hatte: Einfachheit und Glaubwürdigkeit.
In Zukunft sollten daher weniger mechanische
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