Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
alles
rechtens! Und dennoch regen sich alle auf. Warum nur?
Weil die Bürger dieses Landes es als ungerecht empfinden. Sie empfinden es als ungerecht, wenn eine Mitarbeiterin, die über
Jahre hinweg zuverlässig für ihren Arbeitgeber die anstrengende und oft stressige Arbeit an der Kasse eines Supermarktes erledigt
hat, wegen einer Lappalie entlassen wird. Diese Frau verliert auf diese Weise nicht nur ihre derzeitige Arbeit, sondern –
angesichts ihres Alters – höchstwahrscheinlich jegliche Jobperspektive. Die Menschen empfinden es auch als ungerecht, wenn
ein Investmentbanker, der mit seiner Tätigkeit hohe Risiken für seinen Arbeitgeber und vor allem für die Steuerzahler eingegangen
ist, dafür noch mithilfe von Steuergeldern hoch belohnt wird, selbst wenn seine Tätigkeit im Einverständnis mit seinem Arbeitgeber
geschah. Die Kassiererin und der Investmentbanker |10| – am Beispiel dieses ungleichen Paares wird deutlich: In unserem Land stimmt etwas nicht. Und daran ändert auch ein zeitweiliger
Aufschwung nichts. Denn das Schicksal der beiden ist nur das Treibgut auf einem Meer der Ungerechtigkeit. Die Ursachen für
diese Skandale liegen tiefer, und die Folgen beschränken sich nicht auf das Vorhandensein von Ungerechtigkeit. Sie sind auch
ökonomischer Natur. Ich möchte hier zunächst nur die wichtigsten nennen: hohe Krisenanfälligkeit, schwaches Wachstum, niedrige
Beschäftigung und ein tief verschuldeter Staat. Das Grundübel lässt sich auf einen Satz reduzieren: Deutschland hat sich auf
den Weg zu einem plutokratischen System begeben, einem System also, das der Herrschaft des Reichtums unterliegt.
Die wirtschaftliche Leistung unseres Landes wird zunehmend eine Beute des Reichtums. Die Menschen, die bereits über hohe Einkommen
und Vermögen verfügen, sind in der Lage, diese unter den bestehenden wirtschaftspolitischen Bedingungen immer stärker zu steigern,
während breite Kreise der Bevölkerung schon seit Jahren vom Wohlstandszuwachs abgeschnitten sind. Dass es so gekommen ist,
hat vielfältige Ursachen. Es entspricht auch nicht einem abgefeimten Plan, sondern ist im Kern das Ergebnis intellektuellen
Versagens vor allem der Ökonomen und einer langen Kette falscher wirtschaftspolitischer Entscheidungen, über die noch zu reden
sein wird.
Schon seit Jahren herrscht in einer bestimmten Frage Übereinstimmung zwischen der Mehrheit der Ökonomen, den Wirtschaftspolitikern
und den Medien: Der ungebremste Markt schafft Wohlstand, Stabilität und Gerechtigkeit – mehr jedenfalls, als es ein gezügelter
Markt, der sich an wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen orientieren muss, vermag. Man stimmt in diesen Kreisen zudem darin
überein, dass Leistung sich wieder lohnen muss. Was damit gemeint ist? Der viel Verdienende, der gefühlte Leistungsträger,
soll einen immer größeren Anteil seines Einkommens behalten und in seinem ökonomischen Tatendrang nicht durch allzu viele
Vorschriften gebremst werden. Die Wirtschaftspolitik sorgt durch niedrigere |11| Steuern auf Einkommen und Vermögen sowie durch den Abbau von Vorschriften und Regulierungen auch gerne für ein entsprechendes
Umfeld. Seit Jahren kann man den Weg der Wirtschaftspolitik in Deutschland, aber nicht nur hier, so beschreiben.
Keine Einsicht in Sicht
Und das hat anhaltende Folgen. Über Jahre hinweg verschlechterte sich in Deutschland wie auch in anderen Ländern die Einkommenslage
des Mittelstands, von den Einkommensperspektiven der Unterschichten ganz zu schweigen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft wurde
immer brüchiger. Die Kaufkraft weiter Bevölkerungskreise schwand, während einige wenige gewaltige Einkommenszuwächse erzielten.
Die Folge: Es entstand eine polarisierte Gesellschaft. Den vielen mit verschlechterter Einkommensperspektive standen die wenigen
mit glänzenden Aussichten gegenüber. Und dann kam die Krise.
Der Finanzsektor war kurz vor dem Zusammenbruch, die Konjunktur stürzte ab, die Staatsverschuldung explodierte und die Spekulation
blühte. Der Euroraum stand nach Ansicht vieler Finanzinvestoren zeitweise kurz vor seinem Zerfall. Man hätte nun erwarten
können, dass diese Turbulenzen und Verwerfungen auf breiter Front die Einsichten in das Wirtschaftsgeschehen verändern würden.
Es hätte sich endlich die Erkenntnis durchsetzen können, dass in der Wirtschaftspolitik etwas grundsätzlich falsch gelaufen
ist – und dass dies eine wesentliche Ursache
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