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Des Sieges bittere Tränen

Des Sieges bittere Tränen

Titel: Des Sieges bittere Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hob wieder die Waffe.
    Romanowski hatte die Arme nach hinten geworfen und hielt Hartung an seinen Rücken gepreßt fest. »Hilfe!« schrie er. »Hilfe!« Es war das einzige, was er tun konnte, aber niemand hörte ihn. Die Musikkapelle spielte wieder, alles stand mit dem Rücken zu ihnen und sah der Eröffnungsfeier zu.
    Doch es kam Hilfe. Wo kein Mensch eingreifen konnte, handelte der Instinkt des Tieres.
    Laska hatte sich herumgedreht. Ihre großen braunen Augen sahen ihren Herrn, sahen eine fremde Frau und den aufgeregten Romanowski. Und sie spürte den Stoß in die Flanke, ein unbekanntes Gefühl, das sie reizte.
    Ohne einen Laut warf sie den Kopf hoch, stieg dann auf die Hinterbeine und streckte die Vorderbeine zum tödlichen Schlag. Entsetzt starrte Romanowski auf den goldglänzenden, gespannten, zur Vernichtung ausholenden Pferdeleib.
    »Laska!« schrie er. »Laska!«
    Luisa Gironi reagierte wie eine Katze. Als Laska mit vollem Gewicht nach unten kam, warf sie sich zur Seite und entging nur um Zentimeter dem tödlichen Hufhieb. Sie rollte ins Gras, und schon war Romanowski über ihr, hieb ihr auf den Knöchel. Sie ließ mit einem spitzen Schrei die Waffe fallen und lag dann ausgestreckt und mit geschlossenen Augen auf dem Boden.
    Hartung wischte sich den Schweiß ab, küßte Laska auf die Nüstern, klopfte ihr den Hals und kniete sich neben Luisa.
    »Haben Sie sich verletzt, Signorina?« fragte er.
    Luisa antwortete nicht. Die Sonnenbrille war heruntergerutscht. Hartung sah, daß die Partie um beide Augen und der obere Teil der Nase mit dicken Narben bedeckt waren. Die Lider fehlten, über den Augen hingen schrecklich aussehende, rötliche Hautreste.
    Ohne ein Wort nahm Luisa die große Sonnenbrille und schob sie wieder über ihre verbrannte Augenpartie. Dann weinte sie plötzlich, lehnte den Kopf an Hartungs Brust und umklammerte ihn wie eine Ertrinkende.
    Vom Parcours klang donnernder Applaus herüber. Das A-Springen hatte bereits begonnen, der erste Reiter hatte die Hindernisse hinter sich.
    »Wer liebt mich mit diesen Augen?« schluchzte Luisa Gironi. »Immer ist es dasselbe, bei allen Männern. Irgendwann gelingt es ihnen, mir die Brille vom Gesicht zu reißen, und dann erstarren sie, ich sehe, wie entsetzt sie sind, und ich schreie, schreie. Und dann laufen sie weg, als sei ich ein Scheusal. Aber vorher sind sie alle angeschlichen gekommen wie die Kater, sind über meinen Körper hergefallen und haben Liebesworte gestammelt, bis sie meine Augen sahen, meine fürchterlichen Augen.«
    Sie weinte lauter, und Hartung hatte alle Mühe, sie festzuhalten. Sie wollte aufspringen und weglaufen. Wenn ich sie jetzt loslasse, dachte Hartung, geschieht etwas Schreckliches. Sie ist jetzt zu allem fähig.
    Romanowski hatte Laska fest in der Hand und führte das zitternde Tier hin und her. Immer wieder drehte es den Kopf und starrte zu Hartung hinüber.
    »Wie – wie ist das passiert?« fragte Hartung leise und drückte Luisas Kopf an sich.
    »Ich war siebzehn Jahre alt, mein Vater ist Chemiker, ein berühmter Chemiker in Italien. Die Gironi-Werke. Ich spielte in seinem Privatlabor – er hatte immer neue Ideen, die er auch ausführte –, und plötzlich explodierte etwas. Ich weiß nicht mehr, was es war, aber ein Flammenstrahl traf meine Augen, nur diese eine Partie in meinem Gesicht und fraß mir die Lider weg. Zehn Jahre renne ich seitdem von Arzt zu Arzt, immer neue Adressen, zehn Jahre lang immer wieder Hoffnung. Aber es gibt keinen Arzt, der neue Lider einsetzen kann. Und zehn Jahre kämpfe ich gegen den Wahnsinn, gegen die Angst, nicht mehr geliebt zu werden. Ich nehme mir jeden Mann, der mir gefällt, auch wenn er hinterher wegrennt, wie vom Teufel gejagt. Nur du bist nicht gekommen.« Sie umarmte ihn und sah ihn an. Ihr ebenmäßiges Gesicht war tränenüberströmt. Die dunkle Sonnenbrille verdeckte wieder die Tragödie ihres Lebens. »Hast du – hast du vorher gesehen, wie häßlich ich bin?«
    »Sie sind die schönste Frau, Signorina, die ich je gesehen habe.«
    »Mit dieser Brille, diesem Ungetüm vor meinen Augen!«
    »Ein Mensch besteht nicht nur aus Augen!«
    »Aber ich war nicht schön genug, um dich zu mir zu locken.«
    »Darüber könnte man viel sagen, Luisa.« Hartung wischte ihr die Tränen vom Gesicht. »Vielleicht hatte ich nur Angst vor deiner Schönheit.«
    »Du lügst geschickt.«
    »Und dann war Laska da. Sie spürt, was der heutige Tag für sie bedeutet. Seit Tagen ist sie unruhig, ich

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