Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
mir reden zu müssen? Sie hatte mich bereits erbarmungslos ausgequetscht, nachdem sie als Erste am Schauplatz eingetroffen war.
    Wir hatten neben meinem schauderhaft verbeulten Wagen gestanden und den Sonnenaufgang betrachtet. Sie hatte über den Damm geblickt und mich sieben Mal gefragt, ob ich den Fahrer des Transporters gesehen hatte, jedes Mal in einem leicht veränderten Tonfall, wobei sie zwischen den Fragen die Stirn runzelte. Sie hatte mich fünf Mal gefragt, ob ich sicher wäre, dass es ein Kühltransporter gewesen war – aber ich bin überzeugt, dass es sich dabei um Raffinesse ihrerseits gehandelt hatte.
    Sie wollte mich noch viel mehr fragen, hielt sich aber zurück, weil das zu offensichtlich gewesen wäre. Einmal vergaß sie sich sogar und sprach Spanisch. Ich versicherte ihr, ich wäre seguro, und sie hatte mich angesehen und mich am Arm berührt, aber sie fragte nicht noch einmal.
    Und drei Mal hatte sie das Gefälle der Brücke betrachtet, den Kopf geschüttelt, und leise »Puta« geflucht.
    Das bezog sich eindeutig auf Officer Puta, meine liebe Schwester Deborah. Angesichts eines realen Kühltransporters, wie Deborah ihn vorhergesagt hatte, war eine erhebliche Menge Arbeit notwendig, um den ins Schleudern geratenen Fall wieder unter Kontrolle zu bringen, und an der Art, wie LaGuerta an ihrer Unterlippe nagte, konnte ich erkennen, dass sie sich bereits intensiv mit diesem Problem beschäftigte. Ich war überzeugt, dass ihr Ergebnis für Deb sehr unangenehm sein würde – das konnte sie schließlich am besten –, aber in der Zwischenzeit hoffte ich auf einen bescheidenen Anstieg der Aktien meiner Schwester. Natürlich nicht bei LaGuerta, aber man konnte darauf hoffen, dass andere vielleicht bemerkten, wie ihr brillantes Stück Detektivarbeit aufgegangen war.
    Seltsamerweise fragte LaGuerta mich nicht, warum ich zu dieser späten Stunde noch in der Gegend herumgefahren war. Selbstverständlich bin ich kein Detective, aber mir schien das eine äußerst offensichtliche Frage zu sein. Vielleicht wäre es unhöflich zu bemerken, dass diese Art, etwas zu übersehen, typisch für sie war, aber so war es nun einmal. Sie fragte einfach nicht.
    Und anscheinend gab es mittlerweile mehr, worüber wir reden mussten. Also folgte ich ihr zu ihrem Wagen, einem zwei Jahre alten hellblauen Chevrolet, den sie im Dienst benutzte. In ihrer Freizeit fuhr sie einen kleinen BMW, von dem niemand etwas wissen sollte.
    »Steigen Sie ein«, sagte sie. Und ich kletterte auf den sauberen blauen Vordersitz.
    LaGuerta fuhr schnell, schlängelte sich durch den Verkehr, und innerhalb weniger Minuten waren wir über den Causeway wieder auf der Miamiseite, über den Biscayne und nur noch ungefähr eine halbe Meile von der I-95 entfernt. Sie bog auf die Schnellstraße ab und schlängelte sich mit einer Geschwindigkeit durch den Verkehr Richtung Norden, die selbst für Miami ein wenig hoch schien. Bald schon erreichten wir die Abfahrt ins Inland nach Sunrise. Sie musterte mich drei Mal aus den Augenwinkeln, bevor sie endlich sprach. »Das ist ein hübsches Hemd«, meinte sie.
    Ich schaute an meinem hübschen Hemd hinunter. Ich hatte es übergeworfen, als ich aus meinem Apartment gerast war, und sah es nun zum ersten Mal, ein Hawaiihemd aus Polyester, bedruckt mit leuchtend roten Drachen. Ich hatte es den Tag über bei der Arbeit getragen, und es war eine Spur überreif, aber doch, ja, es sah noch sauber aus. Irgendwie hübsch, natürlich, aber trotzdem …
    Machte LaGuerta Smalltalk, damit ich mich genug entspannte, um mir verräterische Bemerkungen entschlüpfen zu lassen? Hegte sie den Verdacht, ich wüsste mehr, als ich zugab, und glaubte sie, mich dazu bringen zu können, in meiner Wachsamkeit nachzulassen und etwas zu sagen?
    »Sie tragen immer so hübsche Kleidung, Dexter«, sagte sie. Sie sah mit einem breiten, dümmlichen Lächeln zu mir herüber, ohne zu bemerken, dass sie drauf und dran war, mit ihrem Auto einen Tanklaster zu rammen. Sie wandte gerade noch rechtzeitig den Blick nach vorn, drehte das Lenkrad mit einem Finger, und wir glitten um den Tank herum und weiter westwärts auf der 75.
    Ich dachte über die hübsche Kleidung nach, die ich immer trug. Ich lege großen Wert darauf, das bestgekleidete Ungeheuer von Dade County zu sein. Ja, natürlich, er hat Mr Duarte in Stücke gehackt, aber er war immer so gut angezogen. Die richtige Kleidung für alle Anlässe – apropos, was trägt man eigentlich zu einer Enthauptung

Weitere Kostenlose Bücher