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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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in den frühen Morgenstunden? Selbstverständlich ein bereits einen Tag getragenes Hawaiihemd und Baumwollhosen. Ich ging mit der Mode. Aber abgesehen von der hastigen Kostümierung dieses Morgens kleidete ich mich sehr sorgfältig. Es war eine von Harrys Lektionen; sei ordentlich, zieh dich nett an, vermeide Aufmerksamkeit.
    Aber warum sollte eine taktisch denkende Mordermittlerin das bemerken oder sich darum kümmern? Es war ja nicht so, als ob …
    Oder doch? Mir ging ein Licht auf. Etwas in dem seltsamen Lächeln, das über ihr Gesicht flackerte und wieder erlosch, verriet mir die Antwort. Es war lächerlich, aber was sonst sollte es sein? LaGuerta war nicht darauf aus, mich zu überrumpeln und mir weitere penetrante Fragen über das zu stellen, was ich gesehen hatte. Und in Wahrheit scherten meine Hockeykenntnisse sie einen feuchten Dreck.
    LaGuerta war gesellig.
    Sie mochte mich.
    Hier saß ich, erholte mich noch immer von meinem grauenhaften Schock wegen meines bizarren, unkontrollierten, sabbernden Übergriffs auf Rita – und jetzt das? LaGuerta mochte mich? Hatten Terroristen etwas in die Wasserreservoirs von Miami geworfen? Verströmte ich den Geruch befremdlicher Pheromone? Hatten sämtliche Frauen Miamis plötzlich gemerkt, wie hoffnungslos alle Männer waren und hatte ich nun wegen Ausschluss der Konkurrenz gewonnen? Allen Ernstes, was ging hier vor?
    Selbstverständlich konnte ich mich irren. Ich verbiss mich in diese Vorstellung wie ein Barrakuda in einen glänzenden Silberlöffel. Was für eine kolossale Ichbezogenheit bewies nur die Annahme, dass eine hochglanzlackierte, niveauvolle, karriereorientierte Frau wie LaGuerta an mir interessiert sein könnte. War es nicht wesentlich wahrscheinlicher, dass … Dass was? So unangenehm die Vorstellung auch war, sie ergab einen Sinn. Wir arbeiteten in derselben Branche, und deshalb war es wahrscheinlich, dass wir einander verstanden und vergaben, wie es die allgemeine Polizistenweisheit verkündete. Unsere Beziehung würde ihre Cop-Arbeitszeiten und ihren anstrengenden Lebensstil verkraften. Und auch wenn ich mir nichts drauf einbilde, bin ich doch durchaus vorzeigbar; ich kann mich sehen lassen, wie wir Einheimischen sagen. Und ich gab mir seit mehreren Jahren viel Mühe, sie mit meinem Charme zu bezaubern. Es war eine rein diplomatische Schleimerei gewesen, aber das musste sie ja nicht wissen.
    Ich konnte außerordentlich gut bezaubern, eine meiner wenigen Eitelkeiten. Ich hatte lange gelernt und viel geübt, und wenn ich mir Mühe gab, konnte niemand unterscheiden, ob es real war oder nicht. Ich war wirklich gut darin, meinen Charme wie Samenkörner in alle Richtungen zu versprühen. Vielleicht war es nur natürlich, dass der ein oder andere dieser Samen zu keimen begann.
    Aber mit diesem Ergebnis? Was jetzt? Würde sie mir ein gemeinsames Dinner an einem der nächsten Abende vorschlagen? Oder ein paar Stunden süßen Schweißvergießens im Motel El Cacique?
    Glücklicherweise erreichten wir die Arena, bevor die Panik mich völlig überwältigte. LaGuerta kreiste auf der Suche nach dem richtigen Eingang einmal um das Gebäude. Er war nicht schwer zu finden. Eine Anzahl Polizeiwagen stand kreuz und quer geparkt vor einer Reihe von Doppeltüren. Sie stellte ihr großes Auto dazu. Ich sprang rasch heraus, bevor sie mir die Hand aufs Knie legen konnte. Sie stieg aus und sah mich einen Moment lang an. Ihr Mund zuckte.
    »Ich schau mich mal um«, sagte ich. Ich rannte nicht direkt in die Arena. Ich flüchtete vor LaGuerta, stimmt – aber ich wollte auch unbedingt hinein; um zu sehen, was mein verspielter Freund angerichtet hatte, um mich seinem Werk zu nähern, um seine Wunder zu bestaunen, um zu lernen.
    Das Innere hallte von diesem organisierten Irrsinn wider, der für einen Tatort so typisch ist – und doch schien mir, als vibrierte die Luft von einer besonderen Elektrizität, einem angedeuteten Gefühl von Aufregung und Spannung, das sich bei einem gewöhnlichen Mord nicht fand, einer Ahnung, dass dieser hier irgendwie anders war, das neue, wundersame Dinge geschehen mochten, weil wir hier draußen auf des Messers Schneide standen. Aber vielleicht ging es nur mir so.
    Eine Gruppe von Leuten ballte sich um das naher gelegene Tor. Einige von ihnen trugen Broward-Uniformen; sie standen mit verschränkten Armen dort und beobachteten, wie Captain Matthews mit einem anderen Mann im Maßanzug über die Zuständigkeit diskutierte.
    Als ich näher kam, fiel mir

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