Désirée
Spaziergang machen?«, erkundigte er sich.
»Ich weiß nicht, ich habe nämlich bisher keinen jungen Mann gekannt!«, entfuhr es mir. Persson hatte ich völlig vergessen. Er drückte wieder meinen Arm und lachte: »Aber jetzt kennen Sie einen – Eugénie!« »Wann werden Sie uns besuchen?« »Soll ich bald kommen?«, neckte er mich.
Aber ich antwortete nicht gleich. Ein Gedanke, der mir schon vor einiger Zeit gekommen war, ließ mich nicht los. Julie … Julie, die so gern Romane liest, wird von diesem jungen Mann mit der fremdartigen Aussprache begeistert sein.
»Nun – Sie sind mir eine Antwort schuldig, Mademoiselle Eugénie?« »Kommen Sie morgen«, sagte ich, »morgen nach Büroschluss. Wenn es warm genug ist, können wir im Garten sitzen. Wir haben ein Gartenhäuschen, es ist Julies Lieblingsplatz.« Ich kam mir ungeheuer diplomatisch vor. »Julie? Ich weiß bis jetzt nur von Suzanne und Etienne, aber noch nichts von Julie. Wer ist Julie?«
Ich musste mich beeilen, wir waren bereits bei unserer Straße angelangt. »Julie ist meine Schwester.«
»Älter oder jünger?« Die Frage klang sehr interessiert.
»Älter. Sie ist achtzehn.«
»Und – hübsch?« Er zwinkerte mir zu.
»Sehr hübsch«, versicherte ich eifrig und überlegte, ob Julie eigentlich hübsch zu nennen ist. Man kann so schwer seine eigene Schwester beurteilen. »Hand aufs Herz?«
»Sie hat wunderschöne braune Augen«, beteuerte ich,und das ist wahr. »Sind Sie auch sicher, dass ich Ihrer Frau Mama willkommen sein werde?« Diese Frage kam zögernd. Er schien nicht ganz überzeugt davon zu sein, und ich war es, ehrlich gestanden, auch nicht. »Sehr willkommen«, versicherte ich, denn ich wollte Julie doch ihre Chance geben. Außerdem hatte ich einen Wunsch. »Glauben Sie, dass Sie Ihren Bruder, den General, mitbringen können?« Jetzt wurde Monsieur Buonapat ganz eifrig. »Natürlich. Er wird sich sehr freuen, wir haben ja so wenig Bekannte in Marseille.«
»Ich habe nämlich noch nie einen richtigen General in der Nähe gesehen«, gestand ich. »Dann können Sie sich morgen einen anschauen. Er hat zwar momentan kein Kommando, sondern arbeitet nur an irgendwelchen Plänen, aber er ist immerhin ein richtiger General.«
Ich versuchte mir vergeblich ein Bild von einem General zu machen. Ich hatte nämlich nicht nur niemals einen in der Nähe gesehen, sondern auch keinen in der Ferne. Und die Bilder der Generäle aus der Zeit des Sonnenkönigs zeigen lauter alte Herren mit Riesenperücken. Übrigens hat Mama diese Bilder, die früher im Wohnzimmer hingen, nach der Revolution auf den Dachboden gestellt. »Es muss ein großer Altersunterschied zwischen Ihnen und Ihrem Bruder herrschen«, bemerkte ich, denn Monsieur Bunapat schien mir noch sehr jung zu sein.
»Nein, nicht besonders. Ungefähr ein Jahr.«
»Was, Ihr Bruder ist nur ein Jahr älter als Sie und schon General?«, platzte ich heraus. »Ein Jahr jünger«, schob er ein. »Mein Bruder ist erst vierundzwanzig Jahre alt. Aber ein sehr aufgeweckter Junge, mit erstaunlichen Ideen. Nun, Sie werden ihn ja morgen selbst sehen.« Jetzt kam unsere Villa in Sicht. Alle Fenster im Erdgeschoss waren erleuchtet. Kein Zweifel – die ganze Familie saß längst beim Abendessen. »Hier wohne ich – in der weißen Villa.«
Das Benehmen Monsieur Bunapats veränderte sich plötzlich. Beim Anblick der hübschen weißen Villa wurde er mit einem Mal unsicher und verabschiedete sich hastig. »Ich will Sie nicht aufhalten, Mademoiselle Eugénie, Sie werden sicherlich bereits mit Sorge erwartet – oh, nichts zu danken, es war mir eine große Freude, Sie nach Hause zu begleiten – und, wenn die Einladung ernst gemeint war, dann werde ich mir wirklich gestatten, morgen am späteren Nachmittag mit meinem kleinen Bruder – ich meine, wenn Ihre Frau Mama wirklich nichts dagegen hat und wir in keiner Weise stören –« In diesem Augenblick wurde die Haustür geöffnet, und Julies Stimme kam durch die Dunkelheit: »Natürlich – sie steht vor dem Gartentor!« Und ungeduldig: »Eugénie! Bist du es, Eugénie?«
»Ich komme ja schon, Julie!«, rief ich zurück. »Auf Wiedersehen, Mademoiselle«, sagte Bunapat noch einmal. Dann lief ich auf das Haus zu. Fünf Minuten später bekam ich zu wissen, dass ich der Schandfleck der Familie sei.
Mama, Suzanne und Etienne saßen um den Esstisch und waren bereits beim Kaffee angelangt, als mich Julie im Triumph ins Zimmer führte. »Da ist sie!«
»Gottlob!«, rief
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