Désirée
gehört hat, ins Haus!« »Und es schickt sich durchaus nicht, dass du einen Herrn, den du durch Zufall bei einer Behörde kennen lernst, sofort einlädst. So benimmt man sich nicht, du bist kein Kind mehr, Eugénie!«, kam es von Mama. »Das ist das erste Mal, dass ich in diesem Hause höre, dass ich kein Kind mehr bin«, bemerkte ich.
»Eugénie – ich schäme mich für dich«, sagte Julie. Ihre Stimme klang tieftraurig. »Aber diese korsikanischen Flüchtlinge haben doch so wenig Freunde in der Stadt«, warf ich ein. Ich wollte an Mamas weiches Herz appellieren. »Über deren Herkunft Mama und ich nicht das Geringste wissen? Ausgeschlossen! Denkst du gar nicht an deinen guten Ruf und den deiner Schwester?« Das kam von Etienne. »Es wird Julie nichts schaden«, murmelte ich und warf Julie einen Blick zu. Ich hoffte, sie würde mir zu Hilfe kommen. Aber sie verhielt sich schweigsam. Etienne hatte jedoch durch die Aufregung der letzten Tage seine Beherrschung völlig verloren. »Du bist der Schandfleck der Familie!«, schrie er mich an. »Etienne, sie ist doch noch ein Kind und weiß nicht, was sie tut!«, sagte Mama. Aber da verlor ich leider die Geduld. Mir wurde ganz heiß vor Ärger. »Ein für alle Mal, dass ihr es wisst – ich bin weder ein Kind noch ein Schandfleck!« Einen Augenblick lang herrschte Stille. »Geh sofort auf dein Zimmer, Eugénie«, befahl Mama. »Aber ich habe doch noch Hunger, ich habe erst angefangen zu essen«, protestierte ich. Mamas silberne Glocke läutete Sturm. »Marie, bitte servieren Sie Mademoiselle Eugénie ihr Essen in ihrem Zimmer!« Und zu mir gewandt: »Geh jetzt, mein Kind, ruhe dich aus unddenke über dein Benehmen nach. Du bereitest deiner Mutter und deinem guten Bruder Etienne großen Kummer. Gute Nacht!«
Marie brachte das Essen in mein Zimmer, das ich mit Julie teile, und setzte sich dann auf Julies Bett. »Was ist geschehen? Warum sind alle so böse auf dich?«, fragte sie sofort. Wenn keine Fremden dabei sind, sagt sie nämlich »du« zu mir, sie kam ja seinerzeit zu mir, weil ich eine Amme brauchte, und ich glaube, sie hat mich ebenso lieb wie ihr eigenes Kind, den unehelichen Pierre, der irgendwo auf dem Lande aufwächst. Ich zuckte die Achseln. »Weil ich für morgen zwei junge Herren eingeladen habe.« Marie nickte nachdenklich: »Sehr gescheit von dir, Eugénie! Es ist nämlich schon Zeit, ich meine, für Mademoiselle Julie.«
Marie versteht mich immer. »Soll ich dir eine Tasse heiße Schokolade machen?«, wisperte sie dann. »Von unserem privaten Vorrat, ja?« Marie und ich haben nämlich einen privaten Vorrat an Leckerbissen, von dem Mama nichts weiß. Marie stiehlt die Sachen für uns aus der Speisekammer. Nach der Schokolade blieb ich allein und begann alles aufzuschreiben. Es ist bereits Mitternacht, und Julie sitzt noch immer unten. Es ist so hässlich, dass man mich ausschließt.
Soeben ist Julie hereingekommen und beginnt sich auszukleiden. Mama habe sich entschlossen, die beiden Herren morgen zu empfangen, da man ihnen nicht gut absagen könne, teilte sie mir mit gespielter Gleichgültigkeit mit. »Aber es wird gleichzeitig der erste und letzte Besuch der beiden in unserem Hause sein, soll ich dir bestellen.« Jetzt steht Julie vor dem Spiegel und reibt ihr Gesicht mit einer Creme ein, die Lilientau heißt. Sie hat gelesen, dass die Dubarry sogar im Gefängnis Lilientau verwendet hat. Aber Julie hat nicht das Zeug, eine Dubarry zu werden.Gleichzeitig will sie wissen, ob er hübsch sei. Ich stelle mich dumm. »Wer?«
»Dieser Herr, der dich begleitet hat.«
»Sehr hübsch bei Mondlicht. Sehr hübsch bei Laternenschimmer. Und bei Tageslicht habe ich ihn noch nicht gesehen!« Und mehr erfährt Julie nicht von mir.
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Marseille, Anfang Prairial.
(Der Wonnemonat Mai geht zu
Ende, sagt Mama).
E r heißt Napoleone.
Wenn ich morgens aufwache und an ihn denke und mit geschlossenen Augen daliege, damit Julie glaubt, dass ich noch schlafe, liegt mein Herz wie ein schwerer Klumpen in meiner Brust. Vor lauter Liebhaben. Ich habe nicht gewusst, dass man Liebe wirklich spüren kann – ich meine, körperlich. Bei mir ist es wie eine Art von Ziehen in der Herzgegend. Aber ich will lieber alles der Reihe nach erzählen und muss deshalb mit jenem Nachmittag beginnen, an dem uns die Brüder Buonaparte zum ersten Mal besuchten. Sie kamen, so wie ich es mit Joseph Buonaparte verabredet hatte, am Tag nach meinem missglückten Besuch bei Albitte. Und zwar am
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