Desperado der Liebe
Wiedersehen mit ihrem Großvater dadurch weiter aufgeschoben wurde -, als Mr. Gideon ihr mitteilte, daß er auf Anweisung ihres Großvaters eine Suite in einem Hotel am Ort angemietet hatte, wo sie Gelegenheit haben würde, sich frisch zu machen und etwas zu sich zu nehmen, ehe es weiterging zur High Sierra, Noble Winthrops riesiger Ranch im Nordosten von El Paso. Araminta schützte sich mit ihrem Schirm gegen die sengende Sonne und genoß weiter das Bild, das die Stadt ihr bot, während Mr. Gideon das Automobil durch die belebten Straßen steuerte, hin und wieder hupend, wenn ein Maultier oder ein Lastkarren im Wege waren, und immer wieder auf Sehenswürdigkeiten deutend. Araminta erinnerte sich kaum noch an die Stadt, und es war ihr, als würde sie sie zum erstenmal sehen. El Paso unterschied sich sehr von New York City und allem, was sie bisher gesehen hatte; die mexikanische Architektur und Lebensweise verlieh der Stadt eine Fremdartigkeit, die sie beeindruckte und ihr das Gefühl vermittelte, als habe sie eine andere Welt betreten.
Schließlich erreichten sie das Hotel, ein kleines, aber gediegenes zweistöckiges Gebäude aus weißem Lehm mit einem schattigen Portikus, verzierten schwarzen, schmiedeeisernen Baikonen und einem roten Ziegeldach. Sie betraten die weitläufige Lobby, deren Wände weiß gekalkt waren; der dunkle Parkettboden war mit Wachs so blank gebohnert worden, daß er glänzte, und darauf lagen bunte mexikanische Teppiche. Von der Decke hingen schwere Kronleuchter. Eine breite, geschwungene Treppe, die zum zweiten Stock hinaufführte, beherrschte das Zentrum der Lobby, die gemütlich mit Sofas, Sesseln und Tischchen, auf denen Pflanzen in Messingtöpfen und Flechtkörben standen, eingerichtet war. Während Mr. Gideon zum Empfangstresen hinüberging, um die Schlüssel für ihr Zimmer zu holen, schloß Araminta ihren Schirm, streifte die Handschuhe ab, schlenderte müßig durch die Lobby und schaute sich um.
Allem Anschein nach war das Hotel ein beliebtes Haus am Ort; Gäste kamen und gingen, und so manchen führte der Weg durch den Rundbogen zum angrenzenden Restaurant, aus dem der verführerische Duft von dampfenden Tortillas und Frijoles herüberzog. Zu ihrer Überraschung stellte Araminta fest, daß dieser Duft Erinnerungen an ihre Kindheit in ihr weckte, und sie sah sich in der Küche der High Sierra sitzen, während die Köchin, die rundliche, nette Teresa, lächelnd und singend ihre Arbeit verrichtete, heiße, schmackhafte Enchiladas und andere mexikanische Speisen zubereitete. Manchmal hatte Araminta ihr dabei zur Hand gehen dürfen, hatte Teig geknetet oder die feurig-scharfe Salsa umgerührt. Noch mehr überraschte sie, daß sie sich bei dieser Erinnerung auf die Ranch ihres Großvaters zurücksehnte, wo sie sich, wie ihr nun mit einem mal klar wurde, nicht völlig ungeliebt oder elend gefühlt hatte. Sie hatte glückliche Zeiten dort mit ihren Eltern, Teresa und einigen anderen Bediensteten verlebt, und das trotz des langen Schattens ihres Großvaters. Zumindest war die High Sierra ihr ein vertrauter Ort, der einst ihr Zuhause gewesen war. New York City hätte sie niemals wirklich ihr Zuhause nennen können. Sie hatte dort nicht gelebt, sondern nur existiert; sie hatte einer düsteren Zukunft entgegengesehen wie die jener bemitleidenswerten Frauen, die in den Fabriken schufteten oder sich als Prostituierte verkaufen mußten, bar jeder Hoffnung, jemals ein besseres Leben führen zu können.
Sie legte ihre Handschuhe auf dem fein geschnitzten Tischchen vor dem großen, goldgerahmten Wandspiegel ab und be trachtete kritisch ihr Spiegelbild. Bis zu diesem Moment war sie sich gar nicht bewußt gewesen, wie dünn sie geworden war, wie ausgezehrt und bleich das Gesicht unter der Hutkrempe; ihre grünen Augen stachen deutlich aus dem blassen Teint mit den hohen kantigen Wangenknochen hervor. Nichts erinnerte mehr an den rosigen Teint, den sie von viel frischer Luft und regelmäßigem Sport im Internat gehabt hatte. Ständig müde und erschöpft, hatte sie in New York ihrem Aussehen nur wenig Beachtung geschenkt. Nun sah sie es mit Bestürzung, denn mehr als alles andere würde es ihrem Großvater bewei-sen, wie sehr sie bei ihrem Versuch, auf eigenen Füßen zu stehen, gescheitert war und welch ein Segen sein Telegramm tatsächlich gewesen war. Sie hatte gehofft, dies vor ihm verbergen zu können, entschlossen, ihr Verhältnis zueinander auf gleicher Ebene zu beginnen.
Nachdem sie den
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