Desperado der Liebe
El Paso erreichen, wo ihr Großvater sie erwartete.
2. Kapitel
Ruckend und kreischend kam der Zug im Bahnhof von El Paso zum Stehen. Araminta blieb noch einen Moment sitzen, warf einen Blick aus dem Fenster des Abteils und versuchte, ihr plötzliches Herzklopfen zu besänftigen. Ihre lange Reise war zu Ende, doch hatte sie das Gefühl, als würde ihre Zukunft nun erst beginnen. Eine Aussicht, die sie gleichermaßen aufregte wie beunruhigte. So hatte sie sich nicht mehr gefühlt, seit sie nach ihrem Schulabschluß nach New York City gegangen war.
Doch nun kamen ihr die wenigen Monate der Unabhängigkeit unwirklich und wie ein Alptraum vor. Schließlich nahm sie ihr Gepäck, stieg aus dem Zug und schaute sich auf dem Bahnsteig nach ihrem Großvater um. Aber sie erblickte ihn nirgends. An seiner Statt kam sein Sekretär Mr. Gideon auf sie zu, an den sie sich noch erinnerte, weil er ihren Großvater nach New York City begleitet hatte, als ihre Eltern gestorben waren. Araminta wußte nicht, ob sie erleichtert oder gekränkt sein sollte, daß ihr Großvater nicht persönlich erschienen war, um sie abzuholen. Wenn er sich etwas aus ihr machte, wäre er jetzt ganz sicher hier. Doch nein, sie durfte nicht so vorschnell über ihn urteilen, sagte sie sich entschlossen. Sie wollte, daß ihr Verhältnis einen guten Anfang nahm, und wahrscheinlich gab es für seine Abwesenheit einen triftigen Grund. Dennoch hatte sie sich innerlich gewappnet, ihm gegenüberzutreten, da dies aber nun auf einen späteren Zeitpunkt verschoben war, würde sie ihren Mut während der langen Fahrt nach High Sierra aufrechterhalten müssen.
»Wie geht es Ihnen, Mr. Gideon?« Araminta reichte ihm die behandschuhte Hand.
»Miss Winthrop, wie schön, daß Sie sich noch an mich erinnern«, begrüßte sie der Sekretär, augenscheinlich geschmeichelt und erfreut, und schüttelte ihr die Hand.
Mr. Gideon arbeitete schon seit vielen Jahren für Noble Winthrop; trotzdem wußte Araminta nicht, ob Gideon sein Vor- oder Familienname war. Ihr Großvater hatte ihn stets nur Gideon genannt. Er war ein ruhiger, gepflegter, jedoch eher unscheinbarer Mann Anfang Vierzig. Wenn sein Gesicht auch wenig einnahm, so funkelten seine blauen Augen nicht nur vor Herzlichkeit, sondern auch vor Intelligenz,- und sie wußte, daß ihr Großvater große Stücke auf ihn hielt. Sie deutete auf ihre Lederkoffer, die aus dem Zug geladen worden waren und nun auf dem Bahnsteig standen; und nachdem Mr. Gideon einen Träger für das Gepäck besorgt hatte, gingen sie auf die Straße, wo das geräumige Automobil ihres Großvaters geparkt stand, das Verdeck zurückgeklappt, die schwarze Karosserie wie Nerz in der Sonne leuchtend. Während der Träger die Koffer hinten verstaute, half Mr. Gideon Araminta beim Einsteigen. Kurz darauf waren sie unterwegs.
EI Paso erstreckte sich am Fuße des Mount Franklin, der in der Ferne emporragte, unterhalb des schmalen Passes, wo der Rio Grande aus den kahlen südlichen Ausläufern der Rocky Mountains entsprang, was dem Städtchen auch den Namen verliehen hatte - El Paso del Norte, nun schlicht als El Paso bekannt. Mit einer Einwohnerzahl von mehr als Zehntausend und seit 1881 mit vier Eisenbahnen war die Stadt belebt und lärmend. Auf den breiten staubigen Straßen drängten sich Au tomobile, Pferde und Kutschen; auf den Gehwegen bewegten sich hauptsächlich Weiße, Mexikaner und Indianer, aber Araminta erblickte hin und wieder auch Schwarze in der Menge. Trotz dieser Melange von Rassen und Kulturen war El Paso dennoch eindeutig mexikanisch geprägt. Nahezu sämtliche Gebäude waren aus Lehm gebaut, und ihr Stil erinnerte an die ebenso dicht gedrängten Gebäude der Schwesterstadt Ciudad Juarez, direkt am anderen Ufer des Rio Grande. Der breite Fluß stellte die Grenze zwischen Mexiko und den USA dar und war seit Jahren als Folge der Veränderungen des Flußlaufes eine stete Quelle heftigster Grenzstreitigkeiten gewesen.
Das Wasser des Rio Grande war gelblich und trübe vom Schlamm. Dennoch fand Araminta den Fluß einladend, als sie ihn teilweise durch die Bäume und Gebäude hindurch erblickte, und sie beneidete die braungebrannten Kinder, die unten am Ufer tollten und badeten. Die Sonne brannte gleißend vom türkisblauen Himmel herab; es war ein heißer Tag, und auch wenn die Luft eher trocken als stickig war, war ihr Reisekleid bald durchgeschwitzt, und sie fühlte sich unbehag lich. Deshalb war sie auch froh - selbst wenn ihr
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