Desperado der Liebe
gehabt und nie etwas zusammen unternommen, zumal sie damals gerade aus dem Kindergarten gekommen war. Und doch hatte sie ihn bei der Begrüßung sofort wiedererkannt.
Er war jemand, den man schwerlich vergaß; und obendrein war er in einen sich hartnäckig haltenden, ominösen Skandal verwickelt gewesen, an den sie sich noch vage erinnerte,- es hatte mit einer Affäre mit einer Frau zu tun, die die Hobarts dank ihres Einflusses rasch erstickt hatten, so daß die Wahrheit niemals ans Tageslicht gekommen war.
Allein schon Judds körperliche Größe war ungewöhnlich. Er überragte die meisten anderen Männer und wog mehr als hundert Kilo - sein schwerer Körperbau wies nur Muskeln auf, kein Fett. Seine Schultern, sein Nacken und seine Brustpartie waren so kräftig und massig wie die eines Zuchtbullen. Das dichte, tabakbraune Haar, das an die Mähne eines Löwen erinnerte, hatte er aus dem gebräunten, wettergegerbten Gesicht gekämmt, das unübersehbare Zeichen seines ausschweifenden Lebenswandels aufwies. Unter den von der Sonne gebleichten Brauen funkelten seine Augen türkisblau wie der Himmel über dem Südwesten; selbst seine Wimpern glitzerten golden an den Spitzen. Und diese Augen funkelten nun hart wie Juwelen, als er, die Lider halb gesenkt, Araminta weiter anstarrte, als stünde sie zum Verkauf und als sei er ein interessierter Käufer. Sein Blick war sogar noch unverschämter als der von Rigo del Castillo, und Araminta hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige für sein übermütiges, selbstgefälliges Schmunzeln verpaßt.
Als könne er ihre Gedanken lesen, blähten sich die Nasenlöcher seiner wie aus Stein gemeißelten, markanten Nase, und sein kampflustiger, breiter Kiefer stand noch mehr hervor. Fest den Arm um sie legend, zog er sie eng an sich, als wolle er sie absichtlich noch weiter reizen, während er gekonnt mit ihr durch den Saal tanzte. Wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie sich von ihm losgemacht und ihn einfach auf der Tanzfläche stehenlassen. Doch sein Griff war wie eine Fessel, und sie spürte intuitiv, daß jeglicher Versuch, sich zu befreien, nicht nur vergeblich wäre, sondern ihn obendrein nur erheitern würde. So ertrug sie seine unerwünschte Zuwendung mit frostigem Schweigen, über das er sich jedoch dreist grienend hinwegsetzte. Araminta betete innerlich, der Walzer möge doch endlich zu Ende sein.
Als die Kapelle dann tatsächlich verstummte, war ihre Erleichterung jedoch nur von kurzer Dauer; denn anstatt sie loszulassen, hakte Judd sie fest bei sich unter und schritt mit ihr Richtung Portikus. Araminta wußte beim besten Willen nicht, wie sie ihm entkommen sollte, ohne eine Szene zu machen. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, daß ihr auch auf der High Sierra ein Briefbeschwerer in der Handtasche von Vorteil gewesen wäre, wie sie ihn auf den Straßen von New York City benutzt hatte, um aufdringliche Kerle abzuwehren. Belustigt stellte sie sich vor, wie es wäre, Judd einen Schlag damit zu verpassen, so daß er ohnmächtig zu Boden sinken würde. Die Vorstellung, wie er in die Knie sank wie ein umgehauener Stier, ließ sie innerlich schmunzeln. Sie hätte darauf gewettet, daß er dann nicht mehr so dreist und unverschämt gewesen wäre.
Sie konnte einen Stoßseufzer nicht unterdrücken, als sie erkannte, daß sich die Männer in Texas nicht von den Strolchen in den Hinterzimmern des Zeitungsverlagsviertels von New York City unterschieden; nur daß sie weniger verschlagen, dafür aber dreister in ihrem ordinären Verhalten waren. Wenn sie daran dachte, daß ihr Großvater tatsächlich beabsichtigte, sie mit einem dieser ungehobelten Kerle zu verheiraten, verließ sie aller Mut. Sie hatte kaum etwas mit den Männern, von denen sie an diesem Abend umgeben war, gemeinsam, mit Judd am allerwenigsten. Er war alles, was sie an einem Mann verabscheute - rüpelhaft und beherrschend, von sich selbst eingenommen und von ihr erwartend, daß er ihr gefiel und daß sie von seiner Zuwendung geschmeichelt war ; er war - wie ihr Großvater - der Überzeugung, daß eine Frau die starke Hand eines Mannes brauchte. Die Vorstellung, zu einer Ehe mit Judd gezwungen zu sein und sich ihm unterwerfen zu müssen, ließ Araminta erschaudern. Denn sowohl ihre Erinnerungen aus der Kindheit wie auch ihr jetziger Eindruck von ihm ließ sie überzeugt sein, daß er keine Skrupel hatte, sich über alles und jeden hinwegzusetzen, inklusive seiner Frau. Instinktiv zog sie ihren Schal fester um sich, so als
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