Desperado der Liebe
Angestellten und Arbeitern diesen nicht gerecht wurde, blieb nicht lange auf der High Sierra.
Mit einem Silbertablett voller Whiskey und Mescal bahnte sich einer der Kellner den Weg durch die blauen Tabakwolken, die aus den offenen Türen des Salons drangen. Dort hatten sich mehrere Gentlemen um die Kartentische versammelt, zu alt und zu verlebt, um zu tanzen oder sich mit der holden Weiblichkeit zu befassen; die ersten Pokerpartien waren im Gange, begleitet vom Geräusch der hingeworfenen Chips und Karten. Andere standen auf dem Portikus beisammen, rauchten ebenfalls feine Havannazigarren und sprachen, ein Glas in der Hand, über Themen, die nicht für die Ohren der Damen gedacht waren. In einer Ecke des Saales saß eine Gruppe Matronen, beharrlich den Rauch fortwedelnd, der aus dem Salon und vom Portikus zu ihnen zog, und eifrig den neuesten Tratsch und Klatsch austauschend. Die beliebtesten Gesprächsthemen der Frauen waren Rezepte und Mode, Geburten und Todesfälle, Skandale und wer gerade wem den Hof machte. Die Männer hingegen sprachen hauptsächlich über Krieg. Die Vereinigten Staaten hatten Truppen nach Honduras, Kuba und Nicaragua entsendet, um die dortigen Interessen zu verteidigen; und die mexikanische Revolution wurde in vielen Fällen nahe der Grenze von Texas ausgefochten. Als Noble und Araminta die letzten eintreffenden Gäste begrüßt hatten und sich durch die Menge bewegten, bekam sie faszinierende Gesprächsfetzen mit; es ging um Vieh- und Pferdediebstahl nicht nur auf der High Sierra, sondern auch auf den benachbarten Ranches entlang des Rio Grande. Jemand meinte, es ließe sich mit dem brutalen Bürgerkrieg südlich der Grenze ein Vermögen machen; sie sprachen von Waffenhandel und anderen Möglichkeiten, die Araminta sowohl skrupellos als auch kriminell erschienen. Mehr als einmal fiel der Name Rigo del Castillo im Zusammenhang mit Diebstahl oder Waffenschieberei, und sie fragte sich neugierig, ob dies etwa der Grund für die Fehde zwischen ihrem Großvater und dem General war. Ihr war sehr wohl klar, daß ihr Großvater es nicht tatenlos hinnehmen würde, wenn ihm jemand Pferde oder Rinder stahl. Doch ehe sie noch mehr mitbekam, schob Noble sie in den Ballsaal, wo sie sofort von einer Schar aufgeregter junger Männer umringt wurde, die begierig waren, der Gastgeberin ihre Aufwartung zu machen.
Doch ebenso plötzlich wurde sie aus ihrer Bedrängnis befreit, als der Mutigste und Hübscheste aus der Gruppe - der Patensohn ihres Großvaters, Judd Hobart - die anderen arrogant mit dem Ellbogen beiseite schob und Araminta ohne Aufforderung auf die Tanzfläche entführte.
»Ich kann mich nicht entsinnen, Ihre Einladung zum Tanz vernommen zu haben, Mr. Hobart«, entrüstete sich Araminta, und ihre Augen funkelten böse. Sie fand ihn ebenso impertinent wie Rigo del Castillo, und sein dreistes Verhalten ärgerte sie. Judd grinste nur.
»Ich habe dich auch gar nicht aufgefordert, Araminta, wie du sehr wohl weißt. Wenn ich ein hübsches Kälbchen von der Herde trenne, um ihm mein Brandzeichen aufzudrücken, dann benutze ich Sporen und Lasso dazu. Ich stehe nicht nur dumm rum, gaffe und warte darauf, daß die Arbeiter zupacken. Wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann daß es sich nicht auszahlt, lange zu fackeln. Wer hier im Westen überleben und es zu etwas bringen will, der muß auf Zack sein, o ja. In dieser Welt muß ein Mann sich nehmen, was er will, ehe ihm ein anderer zuvorkommt.« Womit er nichts anderes sagte, als daß er sie wollte. Araminta schnappte erschrocken nach Luft bei dieser Unverschämtheit und dem anmaßenden Tenor seiner Worte. Wie konnte er es wagen? Zumal sie sich so gut wie gar nicht kannten.
»Ich habe Ihnen auch nicht gestattet, mich mit Vornamen anzureden, Mr. Hobart.« Sie klang zornig ob seiner Unverfrorenheit. Doch Judd lachte nur über sie, was sie noch wütender machte.
»Ach komm, Araminta, was soll dieses höfliche Getue, wo wir uns doch schon von kleinauf kennen. Auch wenn ich damals, vor etwas mehr als zehn Jahren, noch kein Auge auf dich geworfen habe, was ich sehr bedaure, wie du mir glauben kannst.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß, worauf sie errötete und den Blick senkte.
Weil sie nicht wußte, was sie tun sollte, biß sie sich auf die Unterlippe. Es stimmte, daß sie Judd seit ihrer Kindheit kannte. Aber nicht sonderlich gut, denn damals war er bereits ein erwachsener Mann gewesen, fünfzehn Jahre älter als sie, und sie hatten nichts gemeinsam
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