Deus Ex Machina - Teil 2: Thriller
Jagd nach dem Stammhalter, den der Herrgott ihnen verwehrt hatte, oder der leibeigenen Arbeitskraft in spe für den heimischen Bauernhof. Hier und da ein Bonbon und ein „Achguckmalwiesüß“ verteilend. Und jedes Mal hatte er gefleht: „Nicht mich. Bitte, nehmt nicht mich.“
Als er das Waisenhaus schließlich verlassen musste – von einem Tag auf den anderen auf sich allein gestellt -, wich das Gefühl der Geborgenheit einer seltsamen Schwerelosigkeit. Wo immer er suchte, er fand weder Kameradschaft noch Treue, weder Verständnis noch Akzeptanz.
Bis Deus Ex Machina ihm zurückgab, was er für immer verloren zu haben glaubte.
Der Bruderschaft verdankte er sein Leben. Jeder, der sich gegen die Bruderschaft wandte, hatte das seine verwirkt. Daran hatte sich nichts geändert.
Er erhob sich und ging gemessenen Schrittes zum Kamin hinüber.
„Wir machen weiter wie geplant“, sagte er. „Philip Kramer wird uns nicht mehr gefährlich werden. Und falls doch, haben wir noch einen Trumpf in der Hinterhand.“
„Eva Kamp?“, fragte der größere der beiden Mitbrüder.
Er nickte, drehte sich um und verließ den Raum.
*
Vorsichtig versuchte ich mich ein wenig aufzurichten und betastete mein Gesicht. Pflaster klebten auf meinem Kinn und über dem linken Wangenknochen. Mein linkes Auge war mit Mull bedeckt, die Nase zugepfropft. Zwischen Nase und Mund hatte man eine Art Tampon gespannt, um das heraussickernde Blut aufzufangen.
Rechts von mir erahnte ich eine Fensterfront mit halb zugezogenen Vorhängen. Mein Blick war verschwommen. Jemand griff mir an die Schulter und drückte mich sanft, aber bestimmt ins Kissen zurück. Ich drehte den Kopf zur anderen Seite und brauchte einen Moment, um mein Ziel zu fokussieren. Nur mit einem Auge sehen zu können, war ein merkwürdiges Gefühl. Hatte Eva sich bewusst an diese Seite des Bettes gesetzt, um mir den Blickkontakt zu erschweren?
„Bleib liegen, Philip. Es ist alles in Ordnung.“
Ihre Augen waren gerötet. Sie sah müde aus.
„Wo bin ich?“
Erst jetzt bemerkte ich die Schläuche. Einer mündete in eine Infusionsnadel, die im blutverkrusteten Rücken meiner rechten Hand steckte. Zwei weitere, ein dünner und ein dicker, verschwanden unter der Bettdecke. Ich spürte, wohin sie führten.
„Du bist in der Uniklinik. Allgemeine Chirurgie.“ Eva zögerte. „Bis vor zwei Stunden hast du noch auf der Intensivstation gelegen.“
„Was ist denn passiert?“, stöhnte ich.
„Du bist auf der Promenade überfallen worden.“
Vage kamen mir die ersten Erinnerungen. Bye, Bye, Kramer .
„Da war noch ein zweiter Mann. Er hat mir geholfen.“
„Ich weiß.“
„Was machst du überhaupt hier? Woher wusstest du, dass ich hier bin?“
Eva lächelte schwach. „Nach der Geschichte mit der Kamera habe ich Rensing um Personenschutz gebeten. Der Mann, der dir geholfen hat, war Polizist. Rensing hat mich sofort angerufen. Vor einer guten Stunde ist er übrigens auch selber kurz hier gewesen.“
„Du hast mich observieren lassen?“, rief ich aus. „Mit welchem Recht pfuschst du wieder in meinem Leben rum?“ Ich bereute den Satz im selben Moment, in dem ich ihn aussprach. „Entschuldige, Eva, ich -“
„Was hätte ich denn sonst tun können?“, schrie sie mich mit Tränen in den Augen an. „Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, Philip. Wenn bei Franks Selbstmord nachgeholfen wurde, muss es dafür einen Grund gegeben haben. Was, wenn jemand Frank zum Schweigen bringen wollte? Muss dieser Jemand dann nicht auch in dir eine Gefahr sehen? Schließlich hast du mit Frank zusammengewohnt.“
„Trotzdem hättest du mir das sagen müssen.“
„Ach ja? Und wie hättest du reagiert? Wenn ich aus unserer Beziehung eines gelernt habe, dann, dass du ein verdammter Dickschädel bist. Du hättest einer Überwachung niemals zugestimmt, Philip, das weißt du ganz genau.“
„Hat man den Täter fassen können?“, fragte ich kleinlaut.
Eva schienen noch andere Vorwürfe auf der Zunge zu liegen, die sie mir schon immer mal an den Kopf werfen wollte. Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Der konnte entkommen. Anscheinend hat Polizeimeister Deiters – das ist der Beamte, der dich überwachen sollte – den Angreifer ohne Einsatz seiner Dienstwaffe überwältigen wollen. Hat ihm zwei Schnittwunden an den Armen eingebracht. Rensing ist fuchsteufelswild, weil er dem Polizeipräsidenten Rede und Antwort stehen musste. Der Personenschutz war wohl nicht mit ihm abgesprochen.
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