Deutschboden
darzustellen, der man in Wahrheit nicht war. Eric guckte, ob das, was er im Folgenden zu sagen hatte, auch sagbar war. Eric: »Als das mit der Nazi-Scheiße vorbei war, war das eine Riesenerleichterung. Haar wachsen lassen. Und endlich mal einen Döner essen gehen.
Weeßte?«
»Komm, Raoul …« Eric erinnerte sich, er freute sich an der Erinnerung, er lachte, die Jungs lachten auch. »Lass mal los, ey – lass einen Döner holen gehen.«
Rampa gab den Stellungnahmen die rampa-typische Schärfe und Bissigkeit zurück: »Es braucht sich keiner hinzustellen und zu sagen, er hätte in den letzten zehn,zwanzig Jahren wirkungsvolle Jugendarbeit geleistet. Um uns hat sich niemand gekümmert.« Und Raoul kommentierte, mit Hohn und Schadenfreude: »Durch den Aufstand der Anständigen hat sich nun wirklich niemand beirren lassen. Die Leute, die davon beeindruckt waren, die passten in eine Telefonzelle.«
Der Reporter wollte wissen, ob die Jungs sich heute noch als rechts bezeichnen würden.
Eric: »Nicht als rechts, nein.«
Raoul: »Aber ganz sicher auch nicht als links.«
Rampa: »Ganz schwer zu sagen.«
Er dachte nach. Er suchte nach Worten.
»Man findet es schön, hier in Deutschland zu wohnen.«
Rampa erklärte: »Die heute noch rechts sind, das sind die ärmsten Idioten, hirnlose Schläger, Säufer, Dummköpfe. Die haben von dem, was für uns wichtig war – Ska, Working Class, Lonsdale, Fred Perry – keine Ahnung.«
Raoul: »Erst neulich habe ich die Leute, mit denen wir damals rumgehangen sind, im Zug getroffen: 25, 26 Jahre alt. Da mussten die wieder das Zugabteil kaputt hauen. Ich fragte: Und ihr seid unsere Führer? Ihr wollt Deutschland retten? Das wird nicht klappen.«
Bei der kommenden Bundestagswahl, so Raoul, würden alle vier Jungs, man habe sich das genau überlegt, FDP wählen.
Echt?
Das war ja der Hammer: Die Jungs wollten echt FDP wählen?
Warum denn, bitte, das?
Raoul: »Rotgrün verhindern. Der linken Republik den Riegel vorschieben.«
Es fuhren die Jungs fort, Sätze über Deutschland zu sagen, die neunzig Prozent der Deutschen unter dreißig wohl unterschrieben hätten. Sätze, die viel wollten und kaum etwas konnten, Sätze, die viel sagten und kaum etwas bedeuteten.
Vor allem Rampa lag es schwer auf der Seele. Den Reporter rührte Rampas Art, über Deutschland zu reden. Rampa erklärte:
»Man findet es schön, Deutscher zu sein. Weil: Wir Deutschen sind keine Dummen. Die zwölf Jahre – das waren falsche und schlimme Jahre: darauf geschissen. Aber vieles, was davor und was danach gewesen ist, war doch toll. Darauf kann man ruhig ein bisschen stolz sein. Es fällt aber schwer, das zu sagen, und das strengt mich an.«
Wir kamen dann – weil es spät wurde, weil wir getrunken und weil wir uns angestrengt hatten – in die Stimmung, in der über alles gesprochen werden konnte. Es ging um Geld.
Der Tenor war, natürlich, dass alle zu wenig Geld hatten.
Der Tenor war aber auch, dass man von Hartz IV, wenn man ein bisschen clever war, ganz okay leben konnte.
Es ging um ein anderes Riesenthema, zu dem Heiko die nächste Runde Bier servierte, es war vielleicht überhaupt das zentrale Thema der Kleinstadt: Es ging um Langeweile und darum, wie die Arbeitslosigkeit – das große Nichts, Nichtstun und fortgesetzte Nichtstun, das Morgen-undübermorgen-weiter-Nichtstun, das Zum-Nichtstun-Verdammtsein – den Alltag der Jungs bestimmte. Moment.
Für einen Moment lang sah ich deutlich vor mir, dass ichin den Wochen in der Kleinstadt ja selten mehr als absolut nichts gesehen hatte.
Es war alles immer nichts gewesen, es hatte sich nie auch nur die kleinste Kleinigkeit abgespielt. Alles immer aufregend, dabei alles ein großes, alles umfassendes, allmächtiges, alles überstrahlendes Nichts.
Auf der Hauptstraße: nichts los.
Auf der Aral-Tankstelle: nichts gewesen.
In der Kneipe Schröder, im Gasthaus zur Alten Eiche, bei Franky’s, im Haus Heimat, in den Autos, die Tag und Nacht durch die Kleinstadt bumsten, im Proberaum der Band 5 Teeth Less: Nie war etwas gewesen, nie war je irgendetwas passiert.
Es würde auch in Zukunft: nichts passieren.
Wie auch?
Was sollte in einer Kleinstadt von 16 000 Einwohnern, eine Stunde nördlich von Berlin, denn schon passieren?
No fun.
Big time.
Langeweile.
Es hatte sich alles im Auge des Betrachters, im Gehirn, dem Gehirn des Reporters, abgespielt. Das war ja eh immer klar gewesen.
Und exakt das war es ja auch gewesen, was ich, vor
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