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Deutschboden

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Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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damals noch kleine Jungs oder sehr junge Männer gewesen waren, die schlimmen Jahre von Oberhavel erlebt hatten.
    Sie waren, natürlich, dabei gewesen: Wie hätte das auch anders sein können. Die Jungs, die in den vergangenen zwei Monaten, in denen ich der Reporter von Oberhavel gewesen war, auch meine Jungs geworden waren, warenböse, brutal, gemein, gefährlich und ganz sicher keine lieben Jungs gewesen. Ich war überrascht von der Tatsache, dass man mit den Jungs, die damals Skinheads gewesen waren, heute so wunderbar zusammensitzen, trinken und sich erstklassig verständigen konnte. Das, wovor ich mich bei Antritt meiner Reise gefürchtet hatte und was mir all jene prophezeit hatten, die den Osten kannten, war eingetreten: Wer in den Osten fuhr, kam automatisch mit Rechten und, wenn er Glück hatte, mit ehemaligen Rechten zusammen.
     
    Einigermaßen erschrocken schaute ich die Jungs an, die ich zu kennen glaubte und die mir unentwegt sympathisch gewesen waren: Raoul saugte Bier an; Eric saß seitlich, die Beine verschränkt, eine Hand mit den schwarzen Fingernägeln auf den Tisch gelegt; Rampa trommelte mit den Zeigefingern auf die Tischkante und sah dem Reporter geradewegs in die Augen.
    Wer war ich denn? Was hatte ich, Superreporter, denn schon kapiert? Wie konnte ich mir ein Urteil erlauben? Wenn Nazis Rassisten waren, Menschenverächter, Menschenschinder, Gewalt und dumme Ideologien verherrlichende, die Freiheit und alles, was dem Menschen heilig sein musste, verachtende Dreckschweine – dann waren diese Jungs keine Nazis, da war ich sicher. Ich hatte allerdings auch Jungs vor mir sitzen, die sich der Posen, Styles und Sprüche der Rechtsradikalen bedient hatten. Vom posenden Skinhead zum Rechtsradikalen, der Ausländer oder Obdachlose jagte, waren es wohl noch ein paar Schritte, aber eben nicht viele Schritte.
    Es musste nun, natürlich, noch einmal darüber gesprochen werden, was Raoul, Eric und Rampa heute glaubten, wie sie da damals hatten hineingeraten können. Und wie sie sich das erklärten, dass die Kleinstadt heute alles andere als ein Nazi-Nest war und die rechte Szene sich, zumindest aus dieser Kleinstadt, zurückgezogen hatte. Rampa: »Du hättest da mit aller Kraft aus etwas herausgehen müssen, um da nicht hineinzugeraten … verstehst du.
    Die Szene war überall.«
    Eric: »Wir waren jung.«
    Raoul: »Wir waren sehr jung. Meine harten Jahre waren mit 14, 15.«
    Eric: »Ich war 13, als ich Skinhead wurde. Mit 15, 16 war die Sache für mich schon wieder vorbei.«
    Rampa: »Wir waren vor allem wütend.«
    Raoul: »Du willst dich austoben. Und dann erlebst du Leute, die zu dem Zeitpunkt geil ausgesehen haben und brutal nach vorne gegangen sind. Da hat man sich angeschlossen.«
     
    Den Jungs fielen lustigerweise nicht viele Gründe ein, warum sie damals, vor sechs, vor acht oder vor neun Jahren, aufgehört hatten, Skinheads zu sein. Es hatte kein Initialerlebnis gegeben. Es hatte, so verstand der Reporter, entsprechend der Tatsache, dass es schon vorher nicht viel Bewusstsein gegeben hatte, keinen Bewusstseinswandel gegeben. Es hatte sich wohl einfach, so konnte man das sagen, eine Erschlaffung zugetragen. Schau an. Da hatte man dann plötzlich aufgehört, Skinhead zu sein, von einem Tag auf den anderen. Es war vielleicht wirklich alles schon ein bisschen lange her.
    Raoul erzählte irgendetwas von Hip-Hop und MTV, den Konkurrenzunternehmen der Popkultur, die der Bewegung den Schwung genommen hätten. Rampa erklärte, dass die Drogen auf dem Land immer billiger geworden wären, was den Drill der Skinhead-Szene gewissermaßen von innen zerrieben habe. Eric erinnerte sich: »Die dauernde Konfrontation. Du hattest andauernd Ärger mit den Leuten, wegen der Musik, der Stiefel, der Haare. Skinhead sein war ja auch entsetzlich anstrengend. Du konntest nicht einmal durch die Stadt laufen, ohne dass dich einer angemacht hat.« Eric machte eine Pause und schaute die beiden Jungs an. Der Reporter war natürlich gerührt von dieser Erklärung, gerührt und erleichtert: Dass es Eric angestrengt hatte, Skinhead zu sein, das hieß ja platterdings auch, dass ihm das Skinhead-Sein nicht gelegen hatte, dass er überfordert gewesen war, dass er eine Rolle hatte spielen müssen. Der Skinhead dagegen, der ganz Nazi-Arschloch war, der hatte ja keine Probleme, der war eben einfach Nazi-Arsch. Nichts war auf Dauer so anstrengend, das wusste der Reporter, das wusste Eric, wie eine Rolle zu spielen, einen Typ

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