Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
Vom Netzwerk:
eine nicht schlechte Anspannung. Vier Bier auf dem Tisch. Wir saugten an.
     
    Es seien, so fing Raoul mal an, ganz andere Zeiten gewesen. Man glaube das nicht, so Raoul, man könne sich das heute kaum noch vorstellen, was für Zeiten das früher waren: andere Zeiten, andere Häuser, andere Menschen, anderes Kapitel, anderes Leben. Alles anders. Rampa: »Die Häuser sahen damals alle grau aus. Das sah so was von scheiße, so was von deprimierend aus. Alle Häuser: alle grau.«
    Raoul: »Es gibt ja heute keine Rechtsradikalen mehr bei uns in Oberhavel. Das ist vorbei. Heute spinnt ja niemand mehr, heute sind ja alle nett. Ich würde sogar sagen, dass wir heute ein besonders ausländerfreundliches Städtchen geworden sind. Aber früher – früher war das anders.«
    Rampa: »Früher war das vollkommen anders.«
    Raoul: »Früher war es richtig derbe.«
    Eric: »Früher war es krass.«
    Rampa: »Wir waren eine Rechten-Stadt, schlimmer noch: Wir waren eine Rechten-Hochburg. Kann man das so sagen, Raoul?« Raoul: »Das kannst du so sagen.«
    Rampa: »Es war wirklich schlimm. Du konntest nirgendwo hingehen. Auf den Schulen, Berufsschulen, in den Kneipen, auf den Straßen, alles rechts.«
    Raoul: »So war das früher gewesen, ganz früher, zu Nazizeiten, zu Glatzenzeiten …«
     
    Der Reporter erkundigte sich, welche jene schlimmen Jahre gewesen waren, von denen Raoul und Rampa sprachen. Ganz schlimm, so Raoul, sei es 1991 bis 95 gewesen. Bis 1998 sei einiges los gewesen. Ab 2003 habe es sich dann beruhigt.
    Rampa: »Es hat hier Angstzonen gegeben. Was es in Großstädten wie Leipzig und Dresden nie gab, das hat es hier gegeben: No-Go-Areas. Als Typ mit langen Haaren konntest du hier nicht langlaufen. Als Auto mit Berliner oder uckermärkischem Nummernschild musstest du sehen, dass du schnell die Hauptstraße heruntergekommen bist. Sonst hast du einen Stein in die Frontscheibe gekriegt.«
    Raoul: »Es war gefährlich. Das tägliche Leben war gefährlich. Du konntest hier, wenn du unter zwanzig Jahre alt und kein Skinhead warst oder dein Gesicht nicht bekannt war, nach 22 Uhr nicht unbehelligt über die Straße laufen.«
    Ich musste grinsen. Alle am Tisch mussten, soweit der Reporter das sehen konnte, ein bisschen grinsen. Es war ja auch eine ulkige, eine absurde Vorstellung, dass es Zeiten gegeben hatte, in denen ein Auto mit Berliner Nummernschild die friedliche, die schöne Spandauer Straße nicht hatte herunterfahren können, ohne einen Stein in die Windschutzscheibe zu bekommen. Es klang nach einer schmissigen Geschichte. Es klang – auch – nach einer erfundenen Geschichte. Allein: Wahrscheinlich war diese Geschichte wahr.
     
    Der Reporter verstand, dass es nahelag, jene Zeiten, in denen es Angst und Gewalt auf den Straßen von Oberhavel gegeben hatte, heute als Abenteuer-, als Helden-, als Angebergeschichte zu erzählen. Jene eisenharte Nazizeiten, die es in Oberhavel offenbar echt gegeben hatte, durften heute aber nicht als Heldengeschichte erzählt werden. Das wäre dumm, falsch, unerträglich, das wäre widerlich gewesen.
    Viermal Haschnibra.
    Ja, noch mal vier schöne Mollen.
    Danke, Heiko.
     
    Ich schaute auf das Notizbuch vor mir, in das ich mir Fragen an die Jungs notiert hatte. Ich rechnete aus, wie alt die Jungs in jenen schlimmen Jahren gewesen waren. 1998 war Raoul 15, Eric 13, Rampa 22 Jahre alt gewesen.
    Ich fragte die Jungs, ob sie damals, in jenen schlimmen Jahren, rechts gewesen waren.
    Rampa guckte: »Watt? Soll das ein Witz sein?«
    Raoul: »Wir waren alle rechts.«
    Rampa: »Du warst entweder Skinhead, oder du hast auf die Fresse gekriegt, so einfach war das.«
    Eric: »Wir waren vor allem jung.«
    Raoul: »Es war eine Mode.«
    Eric: »Es war eine Jugendbewegung.«
    Raoul: »Wir waren Spinner. Eigentlich auch nichts anderes als Mitläufer.«
    Rampa: »Egal, ob aus Mitläufertum oder aus Überzeugung, wir waren dabei.«
    Eric: »Du wurdest da hineingeboren. Jeder, der hier gelebt hat, der zwölf, dreizehn, vierzehn war, kam mit der Musik, kam mit dem Style, kam mit den Leuten in Kontakt.«
    Raoul: »Wenn du dich in die entgegengesetzte Richtung gestellt hast, bist du hier in Oberhavel nicht alt geworden. Als Punk, als Hip-Hopper brauchtest du hier wirklich nicht rumzulaufen. Da bist du untergegangen. Du hattest keine Freunde, keinen Schulalltag, kein gar nichts, auch kein Nachtleben, weil du abends nicht rausgehen konntest. Denn wenn du rausgegangen bist, dann hast du definitiv auf die Fresse

Weitere Kostenlose Bücher