Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
Alterung wird höher sein als die Entlastung durch weniger Kinder und Arbeitslose: Nach Berechnungen der Europäischen Kommission wird die altersabhängige Mehrbelastung für Rente, Gesundheit und Pflege bis 2060 etwa 5,5 bis 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachen, die Entlastung bei Bildung und Arbeitslosigkeit dagegen nur 0,7 Prozent betragen. 1 Erheblich verbessern würden sich diese Aussichten bei einer deutlich höheren Zahl von Erwerbstätigen. 2 Damit ist nicht zu rechnen. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesagentur für Arbeit kommt bei seinen Projektionen hinsichtlich
des künftigen Erwerbspersonenpotentials zu vergleichbaren Ergebnissen. 3 Daraus folgt: Künftige Verteilungs- und Finanzprobleme können wir gesamtwirtschaftlich nicht mehr durch Zuwachs lösen, sondern nur noch durch Umverteilung.
Wer diesem Befund vertraut, kann seine Lektüre mit Kapitel 3 fortsetzen. Wer sich näher dafür interessiert,
• wie sich unser Wohlstand in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat
• wo wir im internationalen Vergleich stehen
• wie sich die Arbeitsproduktivität in Deutschland weiterentwickeln wird
• was die absehbare demografische Entwicklung für Wachstum und Wohlstand bedeutet und welche Verteilungskonflikte zu erwarten sind,
für den bieten die folgenden Seiten eine interessante, allerdings zahlenlastige Lektüre.
Wohlstandsentwicklung
Deutschland hatte 2008 ein Bruttonationaleinkommen (Gesamtheit aller produzierten Güter und Dienstleistungen) von rund 2500 Milliarden Euro und ein Volkseinkommen (Nationaleinkommen abzüglich Abschreibungen) von rund 1900 Milliarden Euro. Davon entfielen 65 Prozent auf Arbeitnehmerentgelte und 35 Prozent auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Pro Kopf der Einwohner betrugen 4
• das Bruttonationaleinkommen 30 900 Euro
• das Volkseinkommen 23 000 Euro
• die privaten Konsumausgaben 17 100 Euro.
Rund 55 Prozent des Bruttonationaleinkommens beziehungsweise 74 Prozent des Volkseinkommens dienten also dem privaten Verbrauch. Unterstellt man bei einem gesetzlichen Transfereinkommen (Hartz IV oder Grundsicherung im Alter) eine Sparquote von null, so entfällt auf einen alleinstehenden Empfänger ein jährlicher Konsum
von rund 8000 Euro (Regelsatz, Miete, Strom), das sind etwa 47 Prozent des durchschnittlichen privaten Verbrauchs. Im Jahr 2007 betrug das durchschnittliche Bruttoentgelt der Arbeitnehmer nämlich 27 100 Euro, pro Stunde waren das gut 20 Euro. Bei Steuerklasse 1 entspricht dies einem jährlichen Nettoeinkommen von 18 000 Euro.
Das reale (also inflationsbereinigte) Volkseinkommen pro Kopf ist in Deutschland gegenwärtig gut fünfeinhalbmal so hoch wie dasjenige in der Bundesrepublik im Jahr 1950. Aber das Wachstum hat sich über die Jahrzehnte stark verlangsamt, und so ist das reale Volkseinkommen pro Kopf in Gesamtdeutschland nicht höher als das in Westdeutschland im Jahr 1990. Gemessen am realen Volkseinkommen pro Kopf ist der Wohlstand in der westdeutschen Bundesrepublik während der fünfziger Jahre explodiert, in den sechziger Jahren erheblich gewachsen, in den siebziger und achtziger Jahren aber nur noch maßvoll und zunehmend langsamer gewachsen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat Ostdeutschland im wiedervereinigten Deutschland stark aufgeholt, aber das gesamtdeutsche Wohlstandsniveau hat - gemessen am realen Volkseinkommen pro Kopf - 20 Jahre nach der Wiedervereinigung gerade einmal das westdeutsche Niveau von 1990 erreicht.
Dieser statistische Befund passt gut zu den konkreten Erfahrungen der westdeutschen Bevölkerung. Generell sind die Realeinkommen breiter Schichten in den letzten 20 Jahren eher gefallen als gestiegen. Zur wohlstandssenkenden Umverteilung von West nach Ost trat zudem der wachsende Lohndruck infolge der Globalisierung, denn immer mehr Wirtschaftsbereiche tendieren unter dem Wettbewerbsdruck zu einem weltweiten Gleichgewichtslohn.
Wirtschaftskraft im internationalen Vergleich
Deutschland ist immer noch ein reiches Land, es ist aber nicht mehr Weltspitze. Die wirtschaftlichen Folgen der Einheit und die allmählich einsetzenden wirtschaftlichen Auswirkungen der demografischen Alterung haben es in der Wohlstandsrangfolge zurückfallen lassen (siehe Tabelle 2.1 ). Folgende Kräfte wirken auf das BIP ein:
• der technische Fortschritt und die Investitionsintensität
• die Entwicklung der Arbeitsproduktivität
• die Zahl der Erwerbspersonen und ihr
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