Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
IWF.
Arbeitsproduktivität
Die Abweichung von Produktivität und Arbeitskosten einerseits und dem Volkseinkommen andererseits ergibt sich aus der unterschiedlichen Arbeitsmenge. In der Schweiz zum Beispiel ist die Zahl der geleisteten Arbeitstunden pro Kopf der Bevölkerung um 35 Prozent höher als in Deutschland, das durchschnittliche Arbeitsentgelt pro Stunde - Dienstleistungen eingerechnet - dagegen niedrigere Das führt in der Summe zu einem um 20 Prozent höheren Volkseinkommen pro Kopf. Noch 1960 lag bei den 15 »alten« EU-Staaten (EU 15) die jährliche Gesamtarbeitszeit je Einwohner rund 18 Prozent über dem amerikanischen Niveau. Bis 1975 glichen sich die Verhältnisse an. Mittlerweile erreichen die EU 15 nur noch 70 bis 80 Prozent des amerikanischen Niveaus. 5 Das ist nur zu einem Drittel auf längere Urlaubs- und kürzere Wochenarbeitszeiten zurückzuführen, die anderen zwei Drittel sind dagegen der geringeren Erwerbsbeteiligung junger Erwerbstätiger bis 30 und älterer ab 50 Jahren geschuldet. Dieser Arbeitszeiteffekt relativiert auch die Unterschiede in der Höhe des Volkseinkommens. Dass bestimmte Dienstleistungen in Europa familiär erbracht, in den USA aber am Markt nachgefragt werden, erhöht zwar statistisch das amerikanische Volkseinkommen, ist aber für den Wohlstandsvergleich irrelevant. Die Tabelle 2.5 zeigt, dass die Unterschiede in der Gesamtarbeitszeit je Einwohner den größten Teil der am kaufkraftbereinigten BIP gemessenen Wohlstandunterschiede erklären. 6
Nur dort, wo mehr gearbeitet wird, gibt es auch mehr zu verteilen. In Deutschland wird lange ausgebildet, die Älteren scheiden eher aus, das senkt das deutsche Wohlstandsniveau deutlich unter die Verhältnisse in den USA, der Schweiz oder in den Niederlanden. Die Arbeitszeitverkürzung der letzten Jahrzehnte hat Deutschland ärmer gemacht, als es eigentlich sein müsste.
Neben den gesamtwirtschaftlichen Arbeitsstunden bestimmt die Produktivität die Wohlstandsentwicklung. Unbestritten ist, dass in Deutschland künftig sowohl die Gesamtbevölkerung als auch die Zahl der Erwerbspersonen schrumpfen wird. Diese Einbuße könnte ausgeglichen werden, wenn die Arbeitsproduktivität entsprechend stark stiege. In Deutschland sinkt der Zuwachs der Arbeitsproduktivität aber seit vielen Jahren, wobeit dieser Trend konjunkturellen Schwankungen unterliegt. Leider beziehen sich die meisten Untersuchungen zur Produktivitätsentwicklung auf zu kurze Stützzeiträume, so dass der Einfluss von Sonderfaktoren und Trendwirkung nicht zu unterscheiden ist. Exakte Beweise für künftige Produktivitätstrends lassen sich ohnehin nicht liefern. Wenn es aber keine Beweise gibt, droht man leicht dem Wunschdenken zu verfallen. Ein bisschen hat man den Eindruck, dass dies beim Zweiten Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung geschehen ist. 7 In dem Bericht sollen vor allem die Auswirkungen der künftigen demografischen Entwicklung auf die öffentlichen Finanzen dargestellt werden.
Tabelle 2.5 Internationaler Vergleich der Gesamtarbeitszeit pro Einwohner
Quelle Eurostat; USA < www.census.gov >.
Das wesentliche Ergebnis des Tragfähigkeitsberichtes der Bundesregierung von 2008 ist, dass die Auswirkungen der künftigen Abnahme der Bevölkerung auf das Wirtschaftswachstum durch mehr Wirtschaftswachstum kompensiert werden können. Wenn die Zahl der Erwerbspersonen schrumpft, lässt sich Wirtschaftswachstum aber ausschließlich durch eine höhere Arbeitsproduktivität pro Stunde erreichen. Die entsprechenden Analysen und Berechnungen hierzu hat nicht die Bundesregierung, sondern das Ifo-Institut angestellt. 8 Das Ifo-Institut - und damit der Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung - unterstellen ein künftiges jährliches Wachstum der Arbeitsproduktivität von 1,4 bis 1,6 Prozent (ungünstige Variante) beziehungsweise 1,7 bis 1,8 Prozent (günstige Variante). Das Ifo-Institut hat nach eigenen Angaben die Produktivitätsannahmen aus einer »einfachen Trendfortschreibung« der »jeweiligen Durchschnittswerte der Jahre 1991 bis 2004« abgeleitet. 9 Dieser Stützzeitraum ist für eine über viele Jahrzehnte gehende Projektion entschieden zu kurz. Sowohl das langfristige strukturelle Absinken des Produktivitätstrends bleibt dabei unberücksichtigt als auch die negative Trendentwicklung im Stützzeitraum selber.
Schaubild 2.1 Produktivitätsentwicklung in Deutschland
In der Senatsverwaltung für Finanzen des Landes Berlin wurde der langfristige
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