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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
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das Kindergeld mit der entrichteten Steuer aufrechnet.
    Das Gesamtsystem aus Kindergeld, Ehegattensplitting, Kinderfreibeträgen und Elterngeld wird Familienlastenausgleich genannt. Das System ist mit rund 64 Milliarden Euro pro Jahr ungemein
teuer. 77 Es wurde in den letzten 45 Jahren immer teurer, ohne dass die Nettoreproduktionsrate günstig beeinflusst werden konnte, im Gegenteil: Bei unveränderter Geburtenrate hat der Unterschichtanteil an den Geburten deutlich zugenommen. Als Gesamtsystem, gemessen an der Zahl der Geburten und der Qualität der sozioökonomischen Struktur, ist der deutsche Familienlastenausgleich ein krasser Misserfolg.
    Kosten für ein Kind entstehen auf drei Ebenen. Es sind dies
    1. . die unmittelbaren Ausgaben für Ernährung, Kleidung und Unterkunft
    Diese halten sich in überschaubarem Rahmen und können, wie die Statistik der Verbrauchsausgaben zeigt, bereits weitgehend durch das Kindergeld abgedeckt werden. Bei der Grundsicherung verbleiben sogar freie Überschüsse, die die Transferempfänger anderweitig verwenden können.
    2. der Verdienstausfall, der dadurch entsteht, dass ein Ehepartner bezahlte Arbeit zumindest teilweise aufgibt oder einschränkt
    Hier sind die Opportunitätskosten am niedrigsten für den arbeitslosen Transferempfänger. Bei Berufstätigen steigen sie mit der Höhe des Einkommens, auf das man zugunsten von Kindern teilweise verzichtet. Insofern ist es richtig, dass das Elterngeld auch von der Höhe des vorherigen Arbeitseinkommens abhängt.
    3. . die Kosten, die dadurch entstehen, dass die Kinder am Lebensstandard der Eltern teilnehmen
    Jeder, der seine Familie ab und zu ins Restaurant ausführt oder mit Kindern in den Skiurlaub fährt, weiß, was gemeint ist. Auch das Einfamilienhaus fällt mit Kindern größer aus.
    Die Position 2 und 3 können durch ein einkommensunabhängiges Kindergeld selbstverständlich nicht ausgeglichen werden. Das wäre erstens unbezahlbar und würde zweitens bei Transferempfängern und Menschen mit niedrigem Einkommen zu Fehllenkungen führen.
    Während das deutsche System des Familienlastenausgleichs vorwiegend auf Umverteilung zielt, haben beim französischen System bevölkerungspolitische Aspekte ein höheres Gewicht. Kindergeld für das erste Kind gibt es dort gar nicht, für das zweite Kind ist es deutlich
niedriger als bei uns. Dafür gibt es ein Familiensplitting, 78 und das ist so angelegt, dass die Steuerbelastung mit der Zahl der Kinder sinkt. Das französische Familiensplitting ist sozial nicht gerecht, aber funktional wirksam, und zwar im doppelten Sinne: In Frankreich stieg die Zahl der Kinder, insbesondere der dritten und vierten, und es stieg die Zahl der Kinder aus den höheren Schichten.
    Solch ein System lässt sich nahezu beliebig kalibrieren, je nachdem welches Gewicht im Splitting man dem ersten, zweiten und weiteren Kindern zuweist. Einem Übermaß an Umverteilung bei ganz hohen Einkommen könnte man durch Kappungsgrenzen begegnen. Will man solch eine Systemumstellung aufkommensneutral gestalten, bedeutet dies, dass die Steuerbelastung von Kinderlosen relativ steigt. Aber auch dies kann ein sinnvoller Steuerungseffekt sein.
    Ein Familiensplitting wäre zwar geeignet, einen wesentlichen Mangel des einkommensunabhängigen Kindergeldes zu beseitigen, nämlich die mangelhaften Lenkungs- und Anreizwirkungen im Bereich höherer Einkommens- und Bildungsschichten. Gegen eine weitere wesentliche Ursache der Kinderarmut dieser Schichten kann es aber nichts ausrichten: Das erste Kind kommt - wenn überhaupt - erst spät, und infolgedessen ist die Gesamtzahl der Kinder bei Menschen mit hohem Bildungsstand gering. 79 Es ist viel die Rede von der »Rush Hour« des Lebens: Studium, Einstieg ins Arbeitsleben, Partnersuche, das erste Kind - alles soll bis zur Vollendung des 30., spätestens des 35. Lebensjahres vollbracht sein. Dabei lässt sich die Familiengründung noch am ehesten aufschieben. Es kann ja auch ein Jahr später sein, meinen viele, aber oft ist es schließlich doch zu spät, und wenn es dennoch klappt, bleib es bei einem oder zwei Kindern.
    Möglicherweise könnte hier ein fühlbarer Anreiz - quasi mit Fristsetzung - helfen. Es könnte beispielsweise bei abgeschlossenem Studium für jedes Kind, das vor Vollendung des 30. Lebensjahres der Mutter geboren wird, eine staatliche Prämie von 50 000 Euro ausgesetzt werden. Man könnte diese Altersgrenze auch für das erste, zweite und dritte Kind variieren. Mit der

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