DGB 06 - Gefallene Engel
Waldarbeiter und nickte, dann machte er sich auf den Rückweg nach Endriago.
Bevor er ging, sah er noch einmal über die Schulter. »Ich wünsche dir eine
sichere Reise durch die Dunkelheit, Zahariel vom Orden. Mögen die Wächter dich
führen und dir Trost spenden. Du kannst mir glauben, dass ich heute Abend für
dich ein Opfer bringen werde. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.« Mit diesen
Worten ging er und drehte sich nicht noch einmal um.
Nachdem sich der Waldarbeiter
zurückgezogen hatte und Zahariel ein Stück vorangekommen war, kreisten seine
Gedanken um das, was der Mann zuletzt gesagt hatte. Es war offensichtlich, dass
Narel nicht mit seinem Überleben rechnete.
Der Waldarbeiter hatte keine
der üblichen Abschiedsfloskeln benutzt. Kein Wort im Sinne von »Auf das morgige
Leben« oder ähnliche Phrasen. Stattdessen war die Wahl seiner Worte besonders
ungewöhnlich ausgefallen. Eine sichere Reise durch die Dunkelheit hatte er Zahariel
gewünscht. Und er hatte die Wächter gebeten, ihn zu führen und ihm Trost zu
spenden.
Er war sogar so weit gegangen,
ihm zu versichern, er werde für ihn ein Opfer bringen. Nirgends auf Caliban waren
das Formulierungen, mit denen man sich von jemandem verab-schiedete, den man in
Kürze wiedersehen würde. Es waren Worte einer Weihe, aber keine Verabschiedung.
Der mit Blick auf den Tod stark
verbreitete Glaube auf Caliban ging davon aus, dass die Seele eines
Verstorbenen in die Unterwelt reiste, wo sie einem spiralförmigen Weg folgen
musste, der abhängig vom Handeln zu Lebzeiten entweder in die Hölle oder zur Wiedergeburt
führte. Aus diesem Glauben entstammten die Worte des Waldarbeiters, genauer
gesagt aus einem bekannten Beerdigungsritual, wo im Gesamtzusammenhang der
Zeremonie die Hüter des Geistes angefleht wurden, im Namen des Toten zur Tat zu
schreiten.
Zahariel verübelte es Narel
nicht, dass er diese Worte gewählt hatte. Er ging nicht davon aus, dass sie
anders als wohlmeinend gewesen waren. Auf Caliban gab es keine Großstädte, aber
selbst unter diesen Umständen wurden die Siedlungen in der Norderwildnis im Grunde
genommen von Hinterwäldlern bevölkert.
In Orten wie Endriago ging es
noch immer äußerst vorsintflutlich zu.
In seinem eigenen Glauben war
Narel vermutlich davon ausgegangen, dass er Zahariel eine große Ehre
zuteilwerden ließ, indem er versuchte, seinen Weg durch die Unterwelt möglichst
problemlos verlaufen zu lassen. Offenbar betrachtete er diese Reise als
unausweichlich, wenn Zahariel erst einmal der Bestie gegen-übergetreten war.
Aus Zahariels Sicht hätte sich
der Waldarbeiter das alles sparen können.
Es war kein Thema, über das
öffentlich viel gesprochen wurde, aber im Herzen der calibanischen Kultur gab es
zahlreiche Interpretationen des Begriffs Religion. Auf der einen Seite gab es
auf dem Planeten die traditionelle Religion, die beim größten Teil der
Bevölkerung ebenso Anklang fand wie bei einigen Uner-schütterlichen in Adelskreisen.
Diese Religion vereinte Elemente aus der Anbetung der Vorfahren mit einem
animistischen Volksglauben, der angeblich aus den alten Weisheiten der ersten
menschlichen Siedler auf diesem Planeten entstanden war. Deren Anhänger
glaubten, dass die Wälder Calibans von Wächtergeistern bevölkert wurden.
Von besonderer Bedeutung für
diesen Glauben war eine Klasse aus schattenhaften Wächtern, die manchmal
beschlossen, sich aus unerklärlichen Gründen in die Angelegenheiten der
Menschen einzumischen.
Diese »Wächter im Dunkel«
sollten nicht die einzigen über-natürlichen Geschöpfe auf Caliban sein.
Diejenigen, die einen traditionalistischen Glauben vertraten, waren der
Ansicht, dass es sich bei den großen Bestien um böse Geister handelte, die
diese Gestalt angenommen hatten, um Leid über die Menschheit zu bringen.
Angesichts solcher
Vorstellungen war es nicht ungewöhnlich, dass die Menschen den Wächtern im
Dunkel Opfergaben brachten, da sie hofften, sie zum Einschreiten zu bewegen,
damit sie die großen Bestien von ihnen fernhielten.
Ganz im Gegensatz zu solchem
Glauben vertraten die Ritterorden auf Caliban eine eher agnostische
Einstellung. Sie schlossen jeglichen Einfluss übernatürlicher Kräfte aus und
erklärten, falls Wesen wie Götter oder Geister tatsächlich existierten, war es
mehr als unwahrscheinlich, dass sie sich in die Angelegenheiten der Menschen
einmischen würden.
Die Orden vertraten den
Standpunkt, die Denkweise und Wahrnehmungen solcher Wesen müssten
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