DGB 06 - Gefallene Engel
Bestie
und der Wut über Bruder Amadis' Tod begraben gelegen.
Wie leicht es doch war, über
den Aberglauben der Einwohner von Endriago die Nase zu rümpfen, wenn man sich
im Kreis seiner Kameraden befand und vom Schild der Erleuchtung behütet wurde.
Und wie leicht es doch war, dieser Selbstgefälligkeit und Gewissheit beraubt zu
werden, wenn Dunkelheit und Einsamkeit einen heimsuchten.
Er schluckte die Angst herunter
und trieb sein Pferd voran, da er spürte, dass es sich ebenfalls fürchtete. Die
knorrigen, verdrehten Bäume waren älter als jeder Baum, den er je gesehen
hatte, und allem Anschein nach waren sie von einer schleichenden Krankheit
heimgesucht worden, da zähflüssiger Saft aus den Stämmen tropfte, der einen
stechenden, bitteren Geruch wie nach verdorbenem Obst verbreitete.
Sein Weg führte ihn weiter in
die schattenhaften Tiefen der Norderwildnis, und plötzlich spürte Zahariel, wie
ein gehauchtes Wispern an ihm vorbeizog, wie der letzte Atemzug eines Sterbenden.
Der Boden unter den Hufen seines Pferds war schwammig und schädlich, Pilze und
loderndes Unkraut wuchsen um die Baumwurzeln herum.
Tiefer und tiefer drang er in
den Wald vor, wobei er in seiner Seele die Einsamkeit dieses Orts deutlich
spüren konnte. Eine schmerzende Leere, die ihn bis in sein Herz frösteln ließ.
Plötzlich fühlte sich Zahariel
völlig allein, und ein erdrückendes Gefühl der Einsamkeit überkam ihn.
Es war nicht bloß eine
Einsamkeit, die durch die Abwesenheit von Menschen in der weiteren Umgebung ausgelöst
wurde, sondern der Eindruck, von der gesamten ihn umgebenden Welt ab-geschnitten
worden zu sein. Das Gefühl war so entsetzlich, dass Zahariel beinahe einen
Schrei ausgestoßen hätte, weil er sich so bedeutungslos vorkam.
Wie arrogant von ihm zu
glauben, er befinde sich im Mittelpunkt der Spirale. Wie hochtrabend von ihm zu
denken, er könnte den Lauf der Welt beeinflussen.
Tränen stiegen ihm in die
Augen, während sein Pferd ihn tiefer in den Wald trug. Offenbar wusste es
nichts von der langen, finsteren Nacht, die seine Seele erdulden musste.
»Ich bin kein Niemand«,
flüsterte er der Dunkelheit zu.
»Ich bin Zahariel vom Orden.«
Die Dunkelheit verschluckte
seine Worte und antwortete mit spöttischem Schweigen. Seine Worte wurden ihm
aus dem Mund gerissen, als hätte ein unsichtbarer Wind sie erwischt und
mitgetragen, bevor sie die beharrliche Leere um ihn herum durchdringen konnten.
»Ich bin Zahariel vom Orden!«,
brüllte er die Finsternis an.
Abermals wurden seine Worte
fortgetragen, aber sein wütender Ausruf hatte wenigstens für einen kurzen Augenblick
die Schwärze abwehren können, die seine Seele angriff. Wieder brüllte er, und
für Sekunden wurde ihm bewusst, in welche Gefahr er sich brachte, wenn er auf
diese Weise ein Raubtier auf sich aufmerksam machte.
Doch er fürchtete sich mehr
davor, diese bis in seine Seele vordringende Taubheit könne ihn ganz
vereinnahmen.
Er ritt weiter, und wieder und
wieder schrie er seinen Namen hinaus. Mit jedem Schritt, den sein Pferd ihn tiefer
in den Wald trug, verspürte er eine unsichtbare Boshaftigkeit, eine elementare
Kraft, die aus dem Boden aufstieg. Es war, als lauere tief unter der Oberfläche
von Caliban eine kaum unterdrückte Quelle des Bösen.
Befand sich dort unten
tatsächlich irgendetwas, das einen fürchterlichen Einfluss auf das Leben auf
dieser Welt ausübte?
Kaum war ihm dieser Gedanke
durch den Kopf gegangen, da bemerkte er, dass er nicht allein war.
Mit einem sanften Zug an den
Zügeln brachte er sein Pferd zum Stehen, dann atmete er tief die kalte Luft
ein. Er spürte, dass mehrere Wesen ihn aus dem schützenden Schatten der Bäume
beobachteten.
Er weiß es ... er fühlt es ...
Er konnte sie nicht erkennen,
so gut wurden sie von der Dunkelheit getarnt, dennoch wusste er mit absoluter
Sicherheit, dass sie ihn nicht aus den Augen ließen.
Aus den Augenwinkeln konnte er
sie wahrnehmen, kaum mehr als flüchtiger Schatten, die sofort verschwanden,
sobald er den Kopf in ihre Richtung drehte. Zu wie vielen sie waren, vermochte
er nicht zu sagen. Mindestens fünf glaubte er wahrnehmen zu können, doch ob das
alle waren, entzog sich seiner Kenntnis.
Töte ihn ... es hat ihn berührt
...
Flüstern wechselte zwischen den
Bäumen hin und her, aber Zahariel wusste, es war kein Flüstern, das einer menschlichen
Kehle entsprang. Es hatte nicht einmal in einem Reich seinen Ursprung, das er
mit einem seiner fünf Sinne wahrnehmen
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