DGB 06 - Gefallene Engel
hielt das alles für
Aberglaube, da Traditionen auf alten Mythen beruhten, aber Lord Cypher wahrte die
antiken Bräuche ihrer Welt. Da er ebenso Zeuge von Bruder Amadis' Ableben
gewesen war, hatte Zahariel seinen Ratschlag angenommen und sich einen
unterirdischen Schauplatz für sein Festmahl ausgesucht.
Trotz der feierlichen Stimmung
und der scheinbaren Ausgelassen-heit hörte Zahariel aus allem eine gewisse Traurigkeit
heraus. Seine Freunde wünschten ihm alles Gute, konnten aber ihre Trauer nicht
vor ihm verbergen. Es war eine unerfreuliche Erkenntnis, doch nach einer Weile
begriff er, dass sie sich in der vollen Überzeugung von ihm verabschiedeten,
ihn nicht lebend wiederzusehen. Sie alle gingen fest davon aus, dass er von
seiner Mission als Leiche zurückkehren würde. »Du hättest warten können,
Zahariel«, beharrte Nemiel. »Du musstest nicht verkünden, dass du die Bestie töten
wirst, die Amadis auf dem Gewissen hat.«
»Doch, Nemiel«, widersprach Zahariel.
»Das musste ich. Du hast nicht mit angesehen, wie das Leben aus ihm wich — aber
ich.«
»Du weißt ja, was die Ritter
sagen, oder?«, fügte Eliath hinzu.
»Nein, und es interessiert mich
auch nicht. Ich habe mein Wort gegeben, und das vor keinem Geringeren als Lord
Cypher. Ich kann es nicht zurücknehmen.«
»Es sollte dich aber
interessieren«, wandte Nemiel ein und deutete mit einer Kopfbewegung zur Decke.
»Was die Ritter sagen, meine ich ... Sie halten es für Großspurigkeit. Sie
verstehen nicht, warum Lord Cypher dir erlaubt, dieses Vorhaben in die Tat
umzusetzen. Er sollte eigentlich wissen, dass es ein Selbstmordkommando ist.«
»Du musst dich schon etwas
klarer ausdrücken, Nemiel«, sagte Zahariel und fuchtelte mit seinem Kelch herum.
»Mag sein, dass ich nicht genug Wasser zu meinem Wein getrunken habe, aber ich
kann dir nicht so richtig folgen.«
»Ich rede von der Bestie, die
du jagen willst«, gab Nemiel aufgebracht zurück. »Oben an der Rittertafel
erzählt man sich, dass es sich um einen calibanischen Löwen handeln soll, eines
der schlimmsten Raubtiere im Wald. Es heißt, er habe bereits über zweihundert Menschen
getötet, und das oben in der Norderwildnis, wo kaum ein Mensch lebt.«
»Meine Mission soll ja auch
kein Ausflug sein, Nemiel«, erwiderte er. »Durch so etwas beweisen wir uns selbst.
Und wir zeigen, wir sind bereit, Ritter zu werden.«
»Jeder sagt, dass die Jagd auf
eine solche Bestie etwas für wahre Helden wie den Löwen oder Sar Luther ist. Nimm
es mir nicht übel, Cousin, aber du hast nicht deren Kaliber, und das wirst du
auch niemals haben. Dir fehlt es an Geschick und Erfahrung, um diese Bestie zu
besiegen. Du kannst das so wenig, wie ich es kann. Alle da oben halten dich für
verrückt. Ich weiß, du willst unbedingt Ritter sein, aber das wollen wir alle. Wenn
du mich fragst, hättest du warten sollen, bis sich irgendwo eine weniger
gefährliche Bestie findet. Niemand hätte deswegen schlecht über dich gedacht.
Der Ruhm wäre nicht geringer ausgefallen.«
Zahariel schüttelte den Kopf.
»Es geht mir nicht um den Ruhm, und mir ist egal, was die Leute über mich sagen.
So gut solltest du mich eigentlich kennen.«
»Aye, das weiß ich. Aber du
musst doch erkennen, dass es Wahnsinn ist. Ich übertreibe nicht, wenn ich von einem
Selbst-mordkommando rede. Das siehst du doch ein, oder? Warum hast du das
gemacht?«
»Jahrelang habe ich auf eine
solche Gelegenheit gewartet«, erklärte Zahariel langsam. »Seit ich als Anwärter
in den Orden aufgenommen wurde, habe ich von diesem Moment geträumt. Um ehrlich
zu sein, mir ist überhaupt nicht der Gedanke gekommen, mich gegen diese Jagd zu
entscheiden. Als Bruder Amadis starb, wusste ich, dass der Moment gekommen war.
Ich konnte nicht auf die nächste Gelegenheit warten. Und vergiss nicht, was
Meister Ramiel sagt: >Nicht du wählst die Bestie aus, sondern die Bestie
wählt dich aus.< Diese Lektion solltest du eigentlich kennen.«
Um die Stimmung etwas
aufzulockern, lächelte Zahariel Nemiel an, denn er sollte sehen, dass er nur
scherzte, doch sein Cousin wollte nicht einlenken. Immer noch verärgert
musterte Nemiel ihn frustriert, während Attias und Eliath schweigend dasaßen.
Sie wussten, dass es nicht ratsam war, sich in die Diskussion der beiden Cousins
einzumischen.
»Da gibt es nichts zu lachen,
Zahariel. Die Bestie könnte dich töten. Vergiss nicht, ich war dabei, als das geflügelte
Monster uns angriff. Man kann sich schnell für unsterblich
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