DGB 06 - Gefallene Engel
wie Luthers Tapferkeit als Anführer des
eigentlichen Angriffs. Die Chronisten sollten dann auch die leuchtend weißen
Chorröcke der Ritter hervorheben, die das Mondlicht reflektierten, als ihre
Träger tollkühn auf die feindlichen Verteidiger los-stürmten.
Die Wirklichkeit stellte sich
natürlich ein wenig anders dar.
Es war seine erste Berührung
mit einem Krieg, einem Mas-senkonflikt, einem Kampf auf Leben und Tod zwischen
zwei verfeindeten Armeen. Zahariel verspürte Angst. Es war nicht so sehr der
Tod, den er fürchtete. Schließlich war das Leben auf Caliban schon immer
unerbittlich gewesen, und die Söhne dieser Welt wurden bereits mit einem Hang
zum Fatalismus geboren. Von Kindheit an hatte man ihm beigebracht, dass das
Leben endlich war und dass es ihm jeden Augenblick entrissen werden konnte.
Als er acht war, hatte er dem
Tod mindestens ein Dutzend Mal unmittelbar gegenübergestanden. Im Orden war
nach seinem ersten Jahr als Anwärter erwartet worden, dass er fortan mit echten
Klingen und geladenen Waffen trainierte.
Im Rahmen dieser Ausbildung war
er auch losgezogen, um diverse Raubtiere in den Wäldern zu jagen, darunter
Höhlenbären, Todesschwingen und Raptoren. Um zu beweisen, dass er die
Beförderung zum Ritter verdiente, war er losgezogen und hatte einen der
gefürchteten calibanischen Löwen gejagt und zur Strecke gebracht.
Der Krieg war aber etwas ganz
anderes als alle bisherigen Siege.
Wenn ein Mann ein Tier jagte,
dann war das stets so etwas wie ein in die Länge gezogenes Duell — ein
Wettstreit, bei dem Kraft, Erfahrung und Geschick beider Beteiligten
miteinander wetteiferten. Im Verlauf der Jagd fand der Jäger mehr und mehr über
seine Beute heraus, bis er sie so gut kannte, wie es ihm nur möglich war. Ein Krieg
dagegen war eine gänzlich unpersönliche Angelegenheit.
Als er mit den anderen Rittern
auf die feindliche Festung losstürmte, da wurde ihm bewusst, dass er auf dem
Schlachtfeld sterben konnte, ohne je zu erfahren, wer ihn getötet hatte.
Er würde vielleicht sterben,
ohne ins Gesicht seines Feindes zu schauen.
So eigenartig das auch war,
aber es machte ihm tatsächlich etwas aus. Er war immer davon ausgegangen,
seinen Mörder ansehen zu können, wenn er ihm den Todesstoß versetzte, ob es
sich dabei um eine große Bestie, ein gefährliches Raubtier oder auch um einen
anderen Ritter handelte.
Der Gedanke, in einer Schlacht
zu fallen, niedergestreckt von einem namen- und gesichtslosen Widersacher, das hatte
fast etwas Beängstigendes an sich. Von Nervosität erfasst, hatte er für einen
Moment das Gefühl, als lege sich eine eisige Hand um sein Herz.
Er ließ es nicht zu, dass diese
Furcht die Oberhand gewann. Er war ein Sohn Calibans. Er war Ordensritter. Er
war ein Mann, und Männer konnten Angst verspüren, doch er weigerte sich, dieser
Angst zu unterliegen. Zu seiner Ausbildung zum Ritter gehörten auch geistige
Übungen, die ihm helfen sollten, in Zeiten der Krise seinen Verstand zu
stählen. Diese Übungen wandte er nun an.
Er hielt sich die Aussagen des Verbatim vor Augen, jenes Buchs, auf dem alle Lehren des Ordens beruhten. Er dachte an
Meister Ramiel, an den starren Blick des alten Mannes, der sich bis in seine
Seele zu bohren schien. Er stellte sich vor, wie enttäuscht Ramiel sein würde,
wenn er erfuhr, dass Zahariel seiner Pflicht nicht nachgekommen war.
Manchmal, so wurde ihm
deutlich, besteht der größte Mut eines Mannes einfach nur darin, einen Fuß vor den
anderen zu setzen und den einmal eingeschlagenen Weg zu gehen, auch wenn jede
Faser seines Körpers ihn anschrie, er solle kehrtmachen und davonlaufen.
Noch während Zahariel auf das
Loch in der Mauer zulief, sah er flammende Projektile, die in die Masse der vorrückenden
Ritter abgefeuert wurden. Er hörte die Schreie der Verwundeten und der
Sterbenden, die sich über den Schlachtlärm erhoben. Er sah Ritter, die von den
Explosionen der Geschosse erfasst wurden. Ihre Leiber waren in Flammen gehüllt,
sie fuchtelten hilflos mit den Armen und taumelten davon, bis Zahariel sie aus
den Augen verlor.
Den Handwerkern zufolge war
jede Rüstung früher einmal in der Lage gewesen, gegen alle Umwelteinflüsse versiegelt
zu werden, doch diese Zeit lag lange zurück. Eine Explosion in unmittelbarer
Nähe garantierte fast immer für den Träger der Rüstung einen entsetzlichen Tod,
da die Hitze des Feuers durch alle Ritzen ins Innere drang.
Die Ritter starben in Scharen.
Dutzende Verwundete schrien
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