Dhalgren
glaube, was mich am meisten aufgeregt hat, ist dieses ganze Theater hier.« Er machte eine Handbewegung zu den Gästen auf beiden Seiten der Brücke. »Tak hat mir erzählt, du wärest so alt wie er - zwei Jahre älter als ich! Kid, die meisten hier denken, du wärest siebzehn oder achtzehn! Das, zusammen mit diesem Armeleute-Hells-Angels-Touch und der ganze Klatsch über die ausgeflippten Sachen, die du dir so leistest - die Leute kommen doch nur wegen der Show hierher. Für die meisten ist Messing Orchideen ungefähr so eine Vorstellung wie ein sprechender Hund. Sie finden es so interessant, daß er überhaupt spricht, dabei ist es ihnen völlig egal, was er sagt.«
»Un . . .« Eigentlich sollte das ein »Oh!« werden. »Und du . . .« Auch das hatte Kid nicht sagen gewollt, doch er fuhr fort, weil er sichergehen wollte - »du findest also die Gedichte nicht sehr gut?«
Frank antwortete: »Ich glaube, sie sind sehr schlecht.«
»Wo!« sagte Kid ernst. »Und du meinst, daß alle hier dieser Meinung sind?«
»Für die meisten Leute« - Frank legte wieder die Hand mit steifem Arm auf das Geländer - »hat Lyrik sowieso keine Bedeutung. Doch ein paar Dingen, die du mir in der Bar erzählt hast, was du gelesen und empfunden hast, entnehme ich, daß sie dir etwas bedeutet. Deshalb habe ich auch kein Blatt vor den Mund genommen.«
»Nein«, sagte Kid. »Mach nur weiter.« Dachte: Aber er hat ja noch gar nicht aufgehört!
Kids Schatten fiel auf Franks Gesicht und mitten auf das lila Hemd.
»Bei all der Verschiedenartigkeit der heutigen Lyrik« - Frank blinzelte mit dem sichtbaren, zusammengekniffenen Auge -»ist es vielleicht dumm von mir, solche Urteile quasi im Vorbeigehen zu fällen. Es gibt eine Menge verschiedene Gedichtarten. Und manche ziehe ich sicherlich anderen vor. Ich bin ehrlich: Das, was du in deinen Gedichten versuchst, finde ich, auch, wenn es besonders gelungen ist, nicht sehr attraktiv. Was vielleicht ein Grund wäre, daß ich meinen Mund hätte halten sollen. Aber sieh das bitte nicht so, daß ich hier Urteile abgebe. Ich gebe lediglich meinen Eindruck wieder. Ich glaube, was ich sagen wollte ist, soweit ich das überhaupt kann - und ich bin da ziemlich voreingenommen: es scheint recht klar zu sein, was du in den Gedichten gewollt hast. Und ebenso klar, daß es dir nicht gelungen ist. Ich meine, dieses letzte, mit dem plumpen Blankvers - also das ist entweder ein gutes Gedicht oder keins; ich kann's nicht sagen. Es ist nicht zu lesen.« Franks Lächeln war blaß. »Aber du mußt schon zugeben, das ist schon ein Stolperstein.«
Kid grunzte, was eigentlich eine höfliche Zustimmung hätte werden sollen. Es klang eher so, als hätte ihn jemand in die Leber geboxt. Und so, dachte er, will ich nicht, daß ich mich anhöre. »Vielleicht könntest du mir irgendwann bei Teddy oder sonstwo ein oder zwei mit mir durchgehen und mir sagen, wo du denkst - «
»Nein.« Frank schüttelte die Hand mit ausgestreckten Fingern und den Kopf mit finsterer Miene. »Nein, nein. So ist das nicht . . . Ich kann dir doch nicht erzählen, wie man Dichter wird. Ich kann dir nur sagen, was für einen Eindruck ich habe. Sonst nichts.«
Sagt man jetzt Danke? fragte sich Kid. Bedanken tut man sich für Komplimente. »Danke.« Es klang nach einer höchst vorsichtigen Frage.
Frank nickte und sah wieder über das Geländer.
Kid ging um ihn herum zum anderen Ende der Brücke. Auf halbem Weg hatte er ein Gefühl, wie ein Tic, Frank würde ihm auf die Schulter klopfen. Er drehte sich um, merkte in der Bewegung, daß in ihm ein ungeformter absolut feindseliger Kern hochstieg. Da ihm die Maigartenlichter ins Gesicht schienen, konnte Kid nicht sehen, ob Frank ihm nachsah oder nicht.
Mit zusammengekniffenen Augen schluckte Kid den wortlosen Gedanken hinunter und ging zu den steilen Wegen im Januargarten, von wo aus er auf die Terrasse herunterblicken konnte.
Sie sind alle da, dachte Kid. Für mich! Er fühlte sich verzweifelt unbehaglich. Franks Lächeln - Seine Kritik erschien dadurch als etwas, was er loswerden wollte. Das änderte aber nichts an dem, was er gesagt hatte! Jemand anders, an den sich Kid aber jetzt nicht erinnern konnte, hatte gemeint, sie fände sie gut ... er meinte jedoch, daß er darüber jetzt nicht nachdenken wollte. Aber mit diesem Entschluß stiegen sieben andere Reaktionen in ihm auf: Verwirrung, Gleichgültigkeit, Interessen strömten herbei. Er dachte an Newboys Neutralitätskomplex - und witterte
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