Dhampir - Seelendieb
für seinen Träger zu groß war.
Leesil ließ den Rand der Luke los und drehte sich mitten in der Luft über Magiere. Ganz kurz sah sie sein Gesicht, von weißblondem Haar umwogt, das nicht mehr unter dem grünen Tuch steckte. Er sauste vorbei, und beim Aufprall zitterte der Boden unter ihr.
Magiere trachtete danach, sich an der Wand hochzuziehen und wenigstens auf einen Ellenbogen zu kommen. Ihr Kopf schien für den Hals viel zu groß und zu schwer zu sein.
Leesil war halb in die Hocke gegangen, kehrte ihr den Rücken zu und hielt ein Stilett in jeder Hand. Hinter der geschlossenen Kabinentür knurrte und bellte Cha p – offenbar hatte der junge Mann die Tür zugezogen, um beim Angriff auf Magiere nicht von dem Hund gestört zu werden.
Vor Leesil versuchte der junge Hafenarbeiter, wieder auf die Beine zu kommen. Er tastete nach seinem Nacken, und als die Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie etwas Langes und Dunkles, und damit griff er an. Leesil drehte sich im schmalen Gang auf dem rechten Fuß.
Das linke Bein war zunächst angezogen, und im richtigen Moment streckte Leesil e s – der Fuß traf das Kinn des Mannes. Der Kopf ruckte nach hinten, und Leesil schlug mit dem Knauf des Stiletts zu, traf genau die gleiche Stelle. Der Mann drehte sich und wankte durch den Gang. Leesil torkelte nach vorn.
Er torkelte? Magiere stemmte sich hoch und fürchtete eine Verletzung ihres Partners.
»Sei vorsichtig!«, rief sie ihm zu. »Es sind keine einfachen Diebe!«
Leesil richtete sich auf, als der Hafenarbeiter das warf, was er in der Hand hiel t – das Objekt klapperte über den Boden. Der Mann wirbelte herum und floh in die Dunkelheit. Leesil folgte ihm, kam aber nicht weit. Magiere schnappte überrascht nach Luft, als sie sah, was geschah.
Leesil stieß mit dem Fuß gegen das Objekt auf dem Boden, stolperte und prallte an die Wand.
»Leesil!«, brachte Magiere hervor.
Von oben kam das Geräusch laufender Füße, Geschrei und dann ein Platschen.
Sie stützte sich an der Wand ab und stand mühsam auf. Der Hinterkopf schmerzte, und es rauschte in den Ohren, aber ihre Sorge galt vor allem Leesil. Sie machte zwei unsichere Schritte in seine Richtung, doch er kam schon auf sie zu. Die beiden Stilette hatte er bereits wieder verstaut, und in der einen Hand hielt er das Objekt, dem er die Kollision mit der Wand verdankte: eine weitere Eisenstange. Er ließ sie fallen, hielt sich an der nach oben führenden Treppe fest und schwankte erneut.
Magiere erreichte ihn und lehnte sich gegen die Treppenstufen. Ihre Hände strichen Leesil über Arme, Schultern und Brust, suchten unter dem Hemd nach gebrochenen Rippen und Blut.
»Was ist mit dir?«, fragte sie. »Hat er dich verletzt?«
Leesil hob das schmale, sonnengebräunte Gesicht und sah sie verwirrt an.
»Ic h … es ist alles in Ordnung … der dürre Mistkerl wird nicht noch mal in deine Nähe komme n … das verspreche ich.« Er legte die Hand auf ihre Wange, etwas zu gro b – dadurch drehte sich alles vor ihren Auge n – , beugte sich dann zu ihr vor. »Es ist alles in Ordnun g … Jetzt hast du nichts mehr zu befürchten.«
Magiere neigte den Kopf zurück, wodurch sich die ganze Welt um sie drehte. Leesils Atem stank nach Alkohol.
Im matten Licht starrte sie ihn groß an.
Seine Augen waren blutunterlaufen.
Drei Männer hatten Magiere angegriffen, mit der Absicht, sie umzubringen, und Leesil war betrunken.
4
Zwei Nächte nachdem Chane Saphir durch die Stadt begleitet hatte, damit sie sich in ihrem neuen Kleid zeigen konnte, schritt er allein durch die Straßen von Belas mittlerem Kreis. Er war zufrieden, was selten genug geschah. Einmal in der Woche gab ihm Toret frei, und dann konnte er tun und lassen, was er wollte. Er wählte immer das gleiche Ziel für seine Auszüge: die belaskische Zweigstelle der Gilde der Weisheit. In solchen Nächten trug er ein schlichtes weißes Hemd, eine braune Hose und einen einfachen braunen Wollmante l – das Schwert blieb zu Hause. Es war seine übliche Kleidung für jene Besuche, denn er wollte, dass man ihn für einen eifrigen Gelehrten niedriger adliger Abstammung hielt. Er nahm nur die kleine Messingphiole mit, die an seiner Halskette hing und unter dem Hemd verborgen blieb.
Die Schritte führten ihn übers Kopfsteinpflaster zur südlichen Seite der Stadt. Mit einer Kutsche hätte er sein Ziel schneller erreicht, doch er ging lieber zu Fuß. Sein Körper ermüdete nicht, und er mochte die älteren Viertel mit
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