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Dhampir - Seelendieb

Dhampir - Seelendieb

Titel: Dhampir - Seelendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barb & J. C. Hendee
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gewachsen und hatte daher zwei neu errichtete Kasernen bezogen: die eine unweit der Außenmauer, die andere beim innersten Wehrwall. Dieses Gebäude hatte ein Jahr leer gestanden, bis die Weisen gekommen waren. Es bestand aus altem, verwittertem Holz, war aber in einem guten Zustand und ragte zwei Stockwerke weit an der Mauer empor. Als Kaserne mochte es seinen Zweck erfüllt haben, doch die Weisen hatten sich etwas anderes erhofft. Es bot einfach nicht genug Platz für ihre gesamte Ausrüstung, geschweige denn für eine Bibliothek.
    Chane öffnete die Tür und trat ein. Er kannte den Weg, wandte sich nach links durch den Mittelgang und ging dorthin, wo sich einst das Quartier des Sträzhy-Feldwebels befunden hatte. Lehrlinge und Schreiber eilten die Treppen hinauf und hinunter, in den Armen Schriftrollen, Bündel, Tafeln, Bücher und andere Dinge, die er nicht sofort identifizieren konnte. Einige von ihnen nickten ihm einen Gruß zu, als er vorbeikam.
    Das alte Büro des Feldwebel s – einst war es als improvisierter Gerichtssaal für Bagatelldelikte und Rechtsstreitigkeiten benutzt worde n – diente jetzt als Arbeitszimmer mit Schreibtischen, Stühlen und Regalen. Hier und dort standen einige seltsame Glaslampen, darin ein Glühen, das nie flackerte.
    Zwei Weise in sauberen grauen Umhänge n – der Mann mittelgroß, die Frau klein und dün n – saßen hinten an einem Tisch und blickten in einen mit Leder bezogenen Kasten. Sie warteten auf Chane, und beide sahen auf, als er hereinkam. Der größere von ihnen war der alte Tilswith, Domin beziehungsweise Großmeister der Weisen.
    »J a … richtige Zeit«, sagte er, der Sprache nicht ganz mächtig. Er fügte seinen Worten ein freundliches Lächeln hinzu.
    Tilswith war gut sechzig, aber seine grünen Augen sahen noch immer sehr gut, obwohl er manchmal eine Lupe verwendete, um klein geschriebenen Text lesen zu können. Hier und dort verriet sein graues Haar, dass es einst dunkel gewesen war, und er trug es kurz, passend zum ebenfalls kurzen Bart. Falten durchzogen das schmale Gesicht und die langen Hände.
    »Kom m … setz dich«, sagte Tilswith und winkte einladend. »Wir vielleicht habe n … neuen Hinwei s … «
    Der Domin suchte nach Worten und wandte sich hilflos an seine Kollegin, die ihm rasch etwas ins Ohr flüsterte. So klug und gelehrt er auch sein mochte: Ihm fehlten die Sprachkenntnisse, die jemand wie er eigentlich haben sollte. Tilswith klopfte sich mit den Fingern an die Stirn und brummte verärgert, als ob er damit sagen wollte, dass er das gesuchte Wort eigentlich hätte kennen müssen.
    »Ja, j a … Großer Krie g … das Vergessene.« Er seufzte tief. »Entschuldig e … manchmal ich glaube, dass ich nie lerne deine Sprache.«
    Tilswiths Begleiterin stand auf und bot ihren Stuhl an. Sie war zart gebaut und reichte dem Domin gerade bis zur Schulter: Wynn Hygeorht, höchstens zwanzig Jahre alt, aber bereits Tilswiths Hauptlehrling. Hellbraunes Haar fiel in einem sorgfältig geknüpften Zopf über ihren Rücken. Das olivfarbene, fein geschnittene Gesicht war rund und nicht geschminkt. Große, braune Augen glänzten darin. Als Tilswiths Assistentin und Angehörige des Ordens der Katalogisierer war Wynn auf das Wissen um das Wissen selbst spezialisiert: die Erhaltung, Organisation und Koordination von großen und kleinen Bibliotheken. Sie musste auch über den letzten vergessenen Notizzettel Bescheid wissen, für den Fall, dass ihn einmal in zehn Jahren jemand suchte. Sie konnte lesen und schreiben und sprach ein halbes Dutzend Sprachen, darunter auch Belaskisch. Zwar ergriff sie nur selten das Wort, aber Gespräche mit ihr waren immer sehr interessant. Nach langen Nächten, angefüllt mit Saphirs hirnlosem Geschnatter, waren einige wenige Worte von Wynn ein Ohrenschmaus für Chane.
    Wahre Zufriedenheit fand er nur in drei Momenten seiner Existenz: bei der Jagd, bei der Erforschung von Geheimnissen des Arkanen und bei Tilswith und Wynn. Alles andere war eine Fortsetzung der Knechtschaft.
    Er sah auf den Tisch hinab und betrachtete das neue Objekt.
    »Möchtest du Tee?«, fragte Wynn mit ihrer sanften, weichen Stimme.
    »Nein, danke. Wie alt ist das Pergament?«
    An diesem Abend war er besonders versessen darauf, die übrige Welt zu vergessen. Er nahm auf dem Stuhl Plat z – Wynn blieb hinter ih m – und beobachtete, wie Tilswith den in Leder gehüllten länglichen Kasten öffnete.
    Der Weise entnahm ihm eine Schriftrolle. Die Umhüllung und das

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