0714 - Attacke der Doppelgänger
Es war ruhig in Château Montagne. Das erste Licht des Morgens fiel durch die halb geschlossenen Jalousien und warf weiße Muster auf den Boden des Schlafzimmers.
Zamorra warf einen Blick auf die Uhr.
5:30
Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lauschte auf Nicole Duvals leise Atemzüge. Sie war bereits vor Stunden eingeschlafen, während er selbst keine Ruhe finden konnte. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, sprangen assoziativ von einem Thema zum nächsten, von einer Bedrohung zur anderen.
Die Hölle, Kuang-shi, die DYNASTIE DER EWIGEN - der Kampf, den sie gegen diese Mächte des Bösen führten, schien mit jedem Tag komplizierter und gefährlicher zu werden. Er wusste, dass er den Krieg niemals gewinnen würde, denn für jeden getöteten Dämon tauchten wie bei einer Hydra zwei neue auf. Sie selbst waren wie Haie, die immer weiter schwimmen mussten, wenn sie überleben wollten.
Manchmal habe ich es so satt, dachte Zamorra.
Wie oft hatten sie über einen Gegner gesiegt, nur um festzustellen, dass der nächste bereits auf sie wartete? Wie viele Freunde hatten sie verloren, wie vielen den Tod gebracht? Dabei ahnten sie beide, was am Ende des Kampfes auf sie wartete: Nicht der Sieg über das Böse, sondern der eigene, unvermeidliche Tod.
Gerade erst waren sie ihm wieder um Haaresbreite entgangen. Auf einer fremden Welt, wo das todbringende Erbe einer längst vergangenen Macht auf seine Erweckung wartete - Tausende von Meegh-Spidern, die in der Lage waren, das halbe Universum zu verwüsten, wenn man sie nur ließ. Und um ein Haar wären Zamorra, Nicole und ihre Freunde Ted Ewigk und Carlotta von dieser Welt nicht mehr zurückgekehrt.
So wie Robert Tendyke bisher nicht aus der Spiegelwelt zurückgekehrt ist.
Sie mussten ihn holen. Es wurde Zeit. Lange würde er sich dort in der Rolle seines Doppelgängers Ty Seneca nicht mehr halten können. Seine Entlarvung war nur noch eine Frage der Zeit. Aber die Rettungsaktion musste gut vorbereitet sein, jeder noch so winzige Fehler konnte verheerend wirken. Denn die Gegner, mit denen sie es in der Spiegelwelt zu tun hatten, waren so gefährlich und so clever wie sie selbst - sie waren ihre negativen Doppelgänger. Und deshalb konnten sie jeden Trick, jeden Schachzug des Gegners durchschauen.
Bisher war immer wieder etwas dazwischengekommen. Aber Zamorra wusste, dass sie nicht mehr lange warten durften. Jeder Tag, der verstrich, konnte für Tendyke das Ende bedeuten.
Falls er nicht schon tot ist…
»Was ist los?«, fragte Nicole schläfrig.
»Nichts, ich denke nur nach.«
Sie stützte sich auf die Ellbogen und sah ihn an. Nach all den Jahren kannte sie ihn so gut, dass er keine Stimmung vor ihr verbergen konnte. »Willst du darüber reden?«
Er schwieg einen Moment.
»Mir ist eben klar geworden«, sagte er dann, »dass wir den Krieg niemals gewinnen können. Wir werden kämpfen, bis wir auf einen Gegner stoßen, der zu mächtig ist. Und dann werden wir sterben.«
»Ist das so schlimm?«
Zamorra hob die Augenbrauen. »Wie meinst du das?«
»Ich meine, dass der Kampf, den wir führen, zwar aussichtslos ist, aber nicht sinnlos. Das ist ein Unterschied.« Sie strich sanft mit der Hand über seine Brust. »Wir haben vielen Menschen das Leben gerettet, Cheri. Ohne dich und mich sähe die Welt heute vielleicht anders aus.«
»So wie die Spiegelwelt ohne dich und mich anders aussähe…«
Obwohl er es nicht wollte, kehrten seine Gedanken immer wieder zu der Parallelwelt zurück, die sie als Spiegelwelt bezeichneten. Der Name war ebenso einfach wie treffend, denn auf dieser anderen Erde standen Menschen wie er selbst und Nicole klar auf der Seite des Bösen.
Sie hatten die Spiegelwelt erst vor kurzem entdeckt und wussten nicht viel darüber, aber schon der erste unfreiwillige Besuch hatte gezeigt, wie gefährlich diese Welt war. Der dortige Zamorra war ein mächtiger Schwarzmagier, der sich Hoffnungen auf den Höllenthron machte. Seine Beziehung zu »seiner« Nicole war rein zweckgebunden und hielt beide Partner nicht von Seitensprüngen ab.
Am liebsten hätte Zamorra diese düstere Welt nie wieder aufgesucht, doch das würde sich wohl nicht vermeiden lassen, nicht allein, weil der negative Zamorra versuchte, seine machthungrigen Hände nun auch nach der »richtigen« Welt auszustrecken, nachdem er von ihrer Existenz erfahren hatte. Hinzu kam, dass Robert Tendyke dort gefangen war. Seit über einem Jahr schon lebte der Abenteurer und Konzernchef das Leben
Weitere Kostenlose Bücher