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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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das einmal mein geliebter Großvater gewesen, und der im Laufe der Jahre zum Schwarzen Mann aus meinen finsteren Nächten mutiert war.
    Zumeist hatte ich es vermeiden können, die Abende mit den beiden Männern in der Wohnstube zu verbringen. Unter dem Vorwand von Müdigkeit oder Leibschmerzen war ich in die angrenzende Schlafstube gelangt, in der mein Vater und ich während unserer Aufenthalte in Arc´s Hill nächtigten, und hatte mit offenen Augen in die Dunkelheit gestarrt, während durch die geschlossene Tür die gedämpften Stimmen von Jeremiah und Henry Wilkes zu mir gedrungen waren.
    Ich hatte nie den Wortlaut ihrer Unterhaltung verstehen können, doch mochte ich ihre Stimmen in den Nächten ebenso wenig, wie ich die Blicke meines Großvaters auf meiner Person für gut heißen konnte.
    Oft war ich über den Worten der beiden Männer eingeschlafen und war hinabgetaucht in einen dunklen Abgrund aus Alpträumen und Gesprächsfetzen, die mich irgendwann während der Nacht, als das Haus längst im Schweigen lag und die Öllaternen heruntergedreht waren, mit einem kurzen, in der Kehle brennenden Schrei erwachen ließen. Dann sah ich in der Dunkelheit oftmals noch das bösartige, verzerrte Antlitz des alten Mannes, der aus meinen Träumen herabgestiegen war und direkt vor meinem Bett zu stehen schien. Es dauerte stets eine gute Weile, bis sich das Trugbild schließlich in Dunkelheit auflöste. Doch fortan trug ich das Abbild des Schwarzen Mannes, der mein Großvater war, in meinen Gedanken.
    All diese schrecklichen Visionen einer Erinnerung, die ich gehofft hatte, bewältigt zu haben, schlugen auf mich mit erbarmungsloser Grausamkeit ein, als ich nun am Eingang zur Wohnstube stand, so dass die Lampe in meiner Hand zu zittern begann und die Schatten an den Wänden und Dachbalken einen ekstatischen Tanz vollführten.
    Ich stellte die Lampe auf den niedrigen Tisch, der mit einer Gruppe altmodischer Sessel in einer Ecke des Zimmers stand und einst unseren liebsten Aufenthaltsort im Haus darstellte, und eilte hinaus in die Küche, wo ich mich an den Tisch setzte und mit Händen, die stärker zitterten, als ich mir einzugestehen bereit war, die lederne Aktenmappe des Rechtsanwaltes öffnete.
    Neben notariellen Schreiben, die mich als neuen Besitzer des alten Hauses auswiesen und mir auch das kärgliche Vermögen meines Vaters zukommen ließen, enthielt die Mappe zudem einen Brief, den mein Vater vor seinem Tod persönlich an mich gerichtet hatte. Als ich die Mappe von den Rechtsanwälten in Empfang nahm, war der Brief mit einem roten Wachssiegel verschlossen gewesen, das ich erbrach, sobald ich wieder zurück in meiner kleinen, Londoner Dachwohnung gewesen war. Die behördlichen Schriften hatten kein sonderliches Interesse in mir geweckt, doch der Brief meines Vaters ließ mein Herz höher schlagen und meine Hände zittern. Ich fragte mich, wieso er mir die Nachricht nicht auf dem üblichen Postweg zukommen ließ. Doch als ich die Worte las, die in einer ungelenken, steilen Schrift zu Papier gebracht waren, wusste ich, dass mein Vater auf jeden Fall vermeiden wollte, dass die Zeilen in die falschen Hände gerieten. Zu grotesk war der Inhalt, zu absonderlich das, was er mir zu sagen versuchte.
    Ich konnte mich noch an das kalte Gefühl erinnern, als ich den Brief das erste Mal las und ich ernstlich am Gesundheitszustand meines Vaters zweifelte. Diese Worte konnten unmöglich von demselben Mann stammen, den ich so hoch geschätzt hatte. Zu wirr war die Nachricht. Und doch entsann ich mich meines unheimlichen Besuches vor sechs Jahren bei einem Mann, der nichts mehr mit Jeremiah Wilkes gemein und düstere Erinnerung an meinen Großvater in mir gezeugt hatte.
    Im Schein der Öllaterne hielt ich den Brief in Händen und war versucht ihn noch einmal zu lesen, doch ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Es kam aus der Ecke neben dem Herd, wo sich ein schweres, hölzernes Regal befand, das schon zu Zeiten meines Großvaters an der Stelle gestanden hatte.
    Ich nahm die Lampe zur Hand und ging langsam auf das Regal zu. Ein merkwürdiges Kratzen war es gewesen, das meine Aufmerksamkeit erregt hatte; leise und kurz genug, um eine Sinnestäuschung zu sein.
    Mein erster Gedanke galt Ratten oder Mäusen, die sich mit Vorliebe über verlassene Häuser her machten. Doch als ich die Ecke erreichte und der Schein der Lampe über zahlreiche Gläser und Tiegel fiel, die im Regal standen und von einer dünnen Schicht Staub bedeckt waren,

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