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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Unwirklichkeit dieser Mahr, mein Verstand schwindelte, und selbst eine konturenlose, endlose Nacht, wie sie mir diese dunkle Wüste darbot, begann um mich zu kreisen. Ich sah meinen Großvater, gebieterisch und herrisch, der die Arme in einen den Blicken verborgenen, schwarzen Himmel hob und den Kopf in den Nacken warf, während seine Lippen diese fremdartigsten Worte formten und ausstießen. Mein Körper, der nicht mehr der meine war, taumelte ob des Schwindels, strauchelte und fiel in eine gähnende, schwarze Leere. Dennoch ließ ich die profane Szenerie nicht aus meinem Blick.
    Mit Entsetzen nahm ich wahr, dass sich die Pforte zu öffnen begann. Obgleich es immer noch erdrückend still war, glaubte ich das Stöhnen verrosteter Scharniere und Angeln zu hören; dazu die Worte meines Großvaters, deren Oktaven anschwollen, als befände sich der alte Mann im Zustand höchster Ekstase. Mein Blick heftete sich mit ungebändigter Neugierde auf die finstere Tür, die kein Licht offenbarte, sondern in eine weitere Welt aus Schwärze und Nacht führte.
    Mein Großvater verstummte, seine Arme sanken kraftlos an den Seiten herab, und für Sekunden hatte ich den fürchterlichen Verdacht, die Beschwörung – und es war nichts anderes, dessen ich Zeuge geworden war – hätte seinen Leib der letzten Kraft beraubt, derer ein alter Mann fähig sein konnte. Ich war versucht, durch die öde Wüste auf ihn zuzueilen, so sehr ich den Mann auch fürchtete, ihn zu packen und hinauszuziehen aus diesem schrecklichen Nachtmahr. Doch mein Leib verweigerte meinem Verstand den Gehorsam. Es erschien mir, als beobachtete ich das grausame Schauspiel von einem Balkon in einem Theater aus, unfähig in den fürchterlichen Akt einzugreifen. Ich war dazu verdammt, untätig zuzusehen, wie sich mein Großvater plötzlich wieder zu voller, imposanter Größe aufrichtete, als wehte ein trügerischer Wind durch die offene Pforte und hauchte dem alten Mann neues Leben ein.
    Mit geisterhaften Bewegungen ging Henry Wilkes auf die Tür zu, wobei seine Schritte mechanisch wirkten und er mit der Schwärze der endlosen Nachtwüste verschmolz. Ich wollte seinen Namen rufen, wollte nach ihm greifen, obgleich ich so weit von ihm entfernt in der Leere meines Alptraumes stand. Doch sah ich mich außerstande auch nur einen Befehl an meinen Leib zu geben. Selbst meine Stimme gehorchte mir nicht mehr, lediglich ein gutturales Knurren drang aus meiner Kehle, das mit Worten nichts gemein hatte.
    Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah ich, wie mein Großvater durch die Pforte schritt. Sein Schatten verschmolz mit der Nacht, die auf der anderen Seite der Schwelle herrschte, er wurde eins mit der Dunkelheit. Dann war der alte Mann verschwunden, und die Tür begann sich langsam zu schließen. Doch noch ehe sie ins Schloss viel, brach ich mit einem schmerzhaften Schrei in meiner Kehle aus dem Abgrund der Nachtmahr empor und starrte ins Dämmerlicht der Schlafstube, in der ich mir in dem großen Doppelbett mein Lager eingerichtet hatte.
    Mit schwerem Atem und schweißnasser Stirn blickte ich mich in dem niedrigen Zimmer um, das lediglich vom schwachen Schimmern der Öllaterne in der Wohnstube mit einem milchigen Dunst überzogen wurde. Für einige schreckliche Augenblicke glaubte ich die Gestalt meines Großvaters am Fußende des Bettes stehen zu sehen, so, wie ich ihn in meiner Erinnerung trug; herrisch und despotisch, mit einem abschätzenden, kalten Blick, der mich musterte. Dann verblasste das Traumgebilde und ich blieb alleine zurück in dem alten Haus auf dem Hügel in Arc´s Hill, in dem Henry Wilkes sein gesamtes Leben zugebracht hatte, und das nun mit all seinen schrecklichen Träumen und Geheimnissen an mich gefallen war.

    Ich lag starr da und versuchte das Chaos in meinen Gedanken zu ordnen. Doch sah ich mich außerstande, auch nur annähernd in den Bereich von Vernunft und Übersicht zu gelangen. Zu greifbar erschien mir dieser Traum, zu tief unter der Haut steckte die kalte Furcht, die mich noch immer wie ein feuchtes Tuch umgab.
    Noch nie, in all den Jahren, hatte ich derart intensiv von meinem Großvater geträumt. Waren meine Visionen ansonsten eher irreal, in zusammenhanglose Geschichten gestrickt, in deren Wirren immer wieder mal das Antlitz meines Großvaters auftauchte, jedoch selten mit einem direkten Bezug zu meinen Traumgebilden, so schien er in dieser Nacht direkter Gegenstand des Alps zu sein, gar die Handlung selbst zu bestimmen. War es wirklich

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