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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Weise enger zusammengeführt hatte, als er es mit seinem eigenen Sohn jemals gewesen wäre.
    Umso unbegreiflicher erschien mir selbst an diesem Tag, da ich alleine in der Stille des trüben Tages vor der heruntergekommenen Behausung meines Großvaters stand, der Umstand, dass sich mein Vater ausgerechnet diesen grausigen Ort, der seinem kleinen Sohn einst das Fürchten lehrte, auserkoren hatte, um darin seine letzten Lebensjahre zu verbringen.
    Ganze sieben Jahre lebte er allein in diesem Haus, nachdem Henry Wilkes im Jahre 1924 von einer Lungenentzündung dahingerafft worden war. Und in dieser Zeit hatte ich meinen Vater nur ein einziges Mal besucht. Dieser Tag lag nun bereits über sechs Jahre zurück.
    Selbst der Umstand, dass ich die Tage und Nächte in dem alten Haus nicht mehr mit meinem Großvater verbringen musste, und diese Tatsache unter normalen Umständen das Grauen von diesem Ort wie morsches Holz herunterreißen sollte, machte mir meinen damaligen Aufenthalt im Herbst des Jahres 1925 in Arc´s Hill nicht leichter. Das genaue Gegenteil war der Fall gewesen, und ich entsann mich der gespenstischen Gefühle beim Anblick meines Vaters noch, als sei dieser Tag erst gestern gewesen.
    War mein Vater stets ein reservierter, rational denkender und an die Ergebnisse der Wissenschaft glaubender Mensch gewesen, so schien er bei meinem Besuch vor sechs Jahren auf seltsame und schockierende Weise verändert. Ich wusste damals nicht recht zu deuten, was mir derartige Gedanken und Gefühle suggerierte. Alles, was mir in den Tagen meines Daseins in dem Haus bewusst wurde war, dass mich das gleiche Grauen gefangen und in den Nächten wach hielt, wie es mich bereits zu Lebzeiten meines Großvaters heimgesucht hatte.
    Ich redete mir damals ein, dass es immer noch der Geist von Henry Wilkes sein musste, der allgegenwärtig in der Hütte hauste und in mir die schrecklichen Erinnerungen an die Oberfläche meines Bewusstseins beförderte. Immerhin hatte der alte Mann – zumindest in den Augen eines kleinen Jungen – eine grausige und angstgebärende Regentschaft in den niedrigen Zimmern aufgebaut, deren Fängen ich mich offensichtlich selbst nach dem Tod des Despoten nicht zu entziehen vermochte. Erst als ich meinen Besuch bei meinem Vater und seinem neuen Domizil beendet hatte und zurück nach London gekehrt war, wurde mir auf erschreckende und niederschmetternde Weise bewusst, was es war, was in mir die alte, wohlbekannte Furcht gesät hatte.
    Es war nicht etwa die ungesunde, düstere Atmosphäre der beengenden Räume gewesen, ebenso wenig der Atem des alten Mannes, der Zeit seines Lebens hier gewohnt hatte, und den die Wände und Decken des Hauses aufgesogen hatten wie den würzigen Geruch seiner Pfeife oder den scharfen, unerklärlichen Gestank nach Tierställen. Selbst meine Gedanken und Empfindungen aus Kindertagen waren nicht für den Schauder verantwortlich gewesen, der mich während der Tage in seinem Bann hielt. Es war vielmehr mein Vater selbst gewesen. Jener Mann, zu dem ich als Kind aufgeschaut und der versucht hatte, meine psychotischen Ängste vor dem Großvater und dem alten Haus zu nehmen. Der Mann, der die Furcht vor diesem Ort mit mir geteilt hatte.
    Dieser Mann, Jeremiah Wilkes, mein Vater, war nicht mehr jener Mann aus meinen Kindertagen. In seinen Augen war die gleiche versteckte, unheimliche, fast bösartige Dunkelheit zu sehen, wie sie einst mein Großvater in sich trug. Er hatte mich damals gemustert, so, wie es mein Großvater einst tat, als ich zehn Jahre alt war. Immer wieder hatte ich seinen Blick auf mir gespürt, auch wenn ich ihm gerade den Rücken zuwendete. Auch hatte er wirre Sätze gesprochen, über das Haus und Henry. Worte, an die ich mich nicht mehr erinnern wollte, zerstörten sie doch auf entsetzliche Weise mein Andenken an meinen Vater.
    Fast überkam mich zu damaliger Zeit die entsetzliche Furcht, dass mein Vater nicht mehr Herr seiner Sinne war und in einer Art Wahn sprach, sei es nun Fieber oder ein Irrsinn religiöser Natur. Natürlich legte ich diese letzte Einbildung als Halluzinationen meinerseits ab, doch konnte ich mich nicht dagegen erwehren, dass diese kalte Furcht immer wieder zu mir zurückkehrte.
    Was mir von diesem letzten Besuch vor sechs Jahren allerdings am deutlichsten und alptraumhaftesten im Gedächtnis haften geblieben war, war der Geruch der Pfeife des alten Henry Wilkes. Es war nicht etwa der Schweiß, den die düsteren Möbel und alten Tapeten ausstießen,

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