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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Aus diesem Grund hatte Hackworth die Aufgabe Cotton übertragen, um zu sehen, ob der Mann ein gewisses Potential besaß.
    Cottons Hand samt Handschuh flatterte und zuckte wie eine gefangene Pferdebremse in der Mitte des schwarzen Netzes. Auf dem Mediatronschirm über seinem Arbeitsplatz sah Hackworth, daß Cotton einen (nach den Maßstäben der Merkle-Halle) mittelgroßen Subbaustein umklammert hielt, der wahrscheinlich zu einem weitaus größeren nanotechnologischen System gehörte.
    Das Standardfarbspektrum, das bei diesen Phänomenoskopen verwendet wurde, bildete Kohlenstoffatome in Grün ab, Schwefel in Gelb, Sauerstoff in Rot und Wasserstoff in Blau. Aus der Ferne sah Cottons Gebilde überwiegend türkis aus, da es hauptsächlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestand und Hackworth so weit entfernt stand, daß die mehreren tausend individuellen Atome alle miteinander verschmolzen. Es handelte sich um ein Gitter aus langen, geraden, aber ziemlich knotigen Stäben, die rechtwinklig übereinanderlagen. Hackworth identifizierte es als Stabprozessorsystem - einen mechanischen Computer.
    Cotton versuchte, ihn mit einem größeren Baustein zu verbinden. Daraus schloß Hackworth, daß der automatische Zusammenbauvorgang (den Cotton zuerst versucht haben mußte) nicht richtig funktioniert hatte, weshalb Cotton jetzt versuchte, die Komponenten von Hand zusammenzufügen. Damit ließ sich der Fehler nicht beheben, aber die telästhetische Rückkopplung, welche die Fäden seiner Hand übermittelten, würden ihm einen Einblick verschaffen, welche Stäbe sich in welche Öffnungen einfügten, und welche nicht. Das war ein intuitives Herantasten an das Problem, eine Vorgehensweise, von der in den Vorlesungen am Königlich Nanotechnologischen Institut stets nachdrücklich abgeraten wurde, die sich unter Hackworths garstigen, schlauen Kollegen aber großer Beliebtheit erfreute.
    »Okay«, sagte Cotton schließlich. »Ich sehe das Problem.« Seine Hand entspannte sich. Auf dem Mediatron driftete der Subbaustein von seinem eigenen Schwung getragen von der Hauptstruktur weg, bremste, kam zum Stillstand und wurde von den schwachen Van-der-Waals-Kräften wieder in die Gegenrichtung gezogen. Cottons rechte Hand lag auf einem kleinen Tastenbord; er drückte auf einen Knopf, der die Simulation anhielt, danach bearbeitete er die Tastatur einige Augenblicke, wie Hackworth wohlwollend zur Kenntnis nahm, und tippte ein kurzes Arbeitsprotokoll. Derweil zog er die linke Hand aus dem Handschuh und entfernte damit den Aufbau von seinem Kopf; die Gurte und Saugnäpfe hinterließen fein säuberliche Abdrücke in seinem Haar.
    »Ist dies die Smart-Schaltung?« fragte Hackworth und nickte zum Bildschirm.
    »Der nächste Schritt«, sagte Cotton. »Fernbedienung.«
    »Wie kontrolliert? Unistel?« sagte Hackworth, womit er die Universal-Stimmerkennungsschnittstelle meinte.
    »Eine spezielle Variante davon, Sir, ja«, sagte Cotton. Dann, mit gedämpfter Stimme: »Man munkelt, daß sie eine Schaltung mit Nanorezeptoren für galvanische Hauptreaktion, Puls, Atmung und so weiter und so weiter, haben wollten, damit sie auf den emotionalen Zustand des Trägers reagieren kann. Es erübrigt sich zu sagen, daß dieses oberflächliche kosmetische Thema eine Strömung verbarg, die sie in tiefe und unruhige philosophische Gewässer führte –«
    »Was? Philosophie von Schaltungen?«
    »Bedenken Sie, Mr. Hackworth - besteht die Funktion einer Schaltung darin, auf Emotionen zu reagieren - oder gerade das
nicht
zu tun?«
    »Diese Gewässer sind bereits zu tief für mich«, gestand Hackworth.
    »Sie wollen bestimmt etwas über die Energieversorgung von Runcible hören«, sagte Cotton und benutzte damit den Kodenamen der Illustrierten Fibel. Cotton hatte keine Ahnung, worum es sich bei Runcible handelte; er wußte nur, daß eine vergleichsweise langlebige Energieversorgung dafür erforderlich war.
    »Ja.«
    »Die Modifikationen, um die Sie gebeten hatten, sind fertig. Ich habe die Tests durchgeführt, die Sie verlangt haben, plus einige andere, die mir eingefallen sind - hier ist alles protokolliert.« Cotton zog an dem schweren, messingähnlichen Griff seiner Schreibtischschublade und verweilte einen Moment, während die eingebaute Fingerabdrucklogik ihrer Aufgabe nachkam. Die Schublade ließ sich öffnen, und Cotton zog sie heraus und gab den Blick auf ein zeitloses Durcheinander von Büromaterial frei, darunter einige Bögen Papier - manche weiß, manche bedruckt,

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