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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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der Halle. All ihre Köpfe waren hinter Phänomenoskopen verborgen. Der leitende Ingenieur Dürig, seine Lieutenants Chu, DeGrado und Beyerley, sowie ein paar Wasserträger und Boten, die stocksteif an den ihnen zugewiesenen Plätzen rings um die Halle standen, waren die einzigen, die Hackworths Anwesenheit zur Kenntnis genommen hatten. Es zeugte von schlechtem Betragen, die Ingenieure zu erschrecken, daher näherte man sich ihnen laut, sprach sie jedoch leise an.
    »Guten Morgen, Mr. Hackworth«, sagte Cotton.
    »Guten Morgen, Demetrius. Lassen Sie sich Zeit.«
    »Bin gleich bei Ihnen, Sir.«
    Cotton war Linkshänder. Seine linke Hand steckte in einem schwarzen Handschuh. In diesem Handschuh befand sich ein Netz von unsichtbaren, winzigen Strukturfasern, Motoren, Positionssensoren und Tastsinnstimulatoren. Die Sensoren überwachten die Haltung seiner Hand, wie sehr jedes Knöchelgelenk gekrümmt war, und so weiter. Der Rest der Ausrüstung vermittelte ihm den Eindruck, als würde er richtige Gegenstände berühren.
    Die Bewegungen des Handschuhs waren auf einen ungefähr halbkugelförmigen Bereich mit einem Radius von rund einer Elle beschränkt; solange sein Ellbogen auf oder im Umkreis der bequemen elastomeren Lehne blieb, hatte er die Hand frei. Der Handschuh war mit einem Netz infinitesimal kleiner Fäden verbunden, die aus hier und da rings um die Werkbank verteilten Spinndüsen herauskamen. Die Spinndüsen fungierten als motorisierte Spulen, zogen durchhängende Fäden straff und zogen den Handschuh gelegentlich in die eine oder andere Richtung, um externe Kräfte zu simulieren. Tatsächlich waren sie keine Motoren, sondern kleine Fadenfabriken, die Faden erzeugten, wenn Faden gebraucht wurde, und den Faden wieder einsaugten und verdauten, wenn er durchhing oder gestrafft werden mußte. Jeder Faden wurde von einer losen Ziehharmonika-Hülle von zwei Millimetern Durchmesser umhüllt, die lediglich der Sicherheit diente, damit Besucher nicht mit den Händen hineingriffen und sich die Finger an den unsichtbaren Fäden abschnitten.
    Cotton arbeitete mit einem komplexen Gebilde, das wahrscheinlich aus mehreren hunderttausend Atomen bestand. Hackworth konnte das erkennen, weil jeder Arbeitsplatz über ein Mediatron verfügte, das ein zweidimensionales Abbild dessen erzeugte, was der Benutzer sah. Das machte es den Aufsehern leichter, durch die Gänge zu gehen und auf einen Blick zu sehen, womit jeder Angestellte gerade beschäftigt war.
    Hackworth kamen die Gebilde, mit denen diese Leute arbeiteten, grotesk unhandlich vor, obwohl er sich selbst einige Jahre damit beschäftigt hatte. Die Leute hier in der Merkle-Halle arbeiteten alle an Fließbandprodukten für den Verbrauchermarkt, die im großen und ganzen keine nennenswerten Herausforderungen darstellten. Sie arbeiteten in Symbiose mit umfangreicher Software, die alle ständig wiederkehrenden Vorgänge erledigte. Das war eine schnelle Methode, um Produkte zu entwickeln, was von entscheidender Bedeutung war, wenn man für den wechselhaften und unbeständigen Verbrauchermarkt entwarf. Aber Systeme, die auf diesem Weg entwickelt wurden, wurden am Ende immer riesig. Ein automatisches Fertigungssystem konnte immer etwas funktionstüchtig machen, indem es mehr Atome hineinbutterte.
    Jeder Ingenieur in dieser Halle, der nanotechnologische Toaster und Trockenhauben entwarf, wünschte sich insgeheim, er könnte Hackworths Job in der Abteilung Sonderprojekte bekommen, wo Feinheit Selbstzweck war, man kein Atom verschwendete und jedes Subsystem speziell für die erforderliche Aufgabe entworfen wurde. Diese Arbeit erforderte Intuition und Kreativität, Eigenschaften, die hier, in der Merkle-Halle, weder im Überfluß vorhanden waren noch gefördert wurden. Aber ab und zu, beim Golf, Karaoke oder bei einer Zigarre, erwähnte Dürig oder ein anderer Aufseher einen vielversprechenden jungen Mann.
    Da Lord Alexander Chung-Sik Finkle-McGraw das derzeitige Projekt von Hackworth finanzierte, die
Illustrierte Fibel für die junge Dame,
spielten preisliche Überlegungen keine Rolle. Der Herzog würde weder Drückebergerei noch Geldschneiderei dulden, daher war alles so lupenrein, wie die Abteilung Sonderprojekte es machen konnte; jedes einzelne Atom ließ sich rechtfertigen.
    Dennoch hatte die Energieversorgung der Fibel, die aus Batterien derselben Machart bestand, wie sie für alles verwendet wurden, von Spielsachen bis hin zu Luftschiffen, nichts besonders Interessantes an sich.

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