Diaspora
vom Kern emporströmte, glühte in Wellenlängen, die dem Infrarot analog waren: an der Grenze zwischen den Energieniveaus der Leptonen-Übergänge und der molekularen Vibrationen. Im Absorptionsspektrum der Atmosphäre über den inneren Kontinenten waren Spuren von Ringen und verzweigten Ketten des Atoms 27 nachweisbar, doch die komplexesten chemischen Signaturen wurden in der Nähe der Küsten festgestellt.
Außerdem gab es Ballungen aufragender Strukturen in den Küstenregionen, bei denen es sich nicht um plausible Produkte der Erosion oder der Tektonik, der Kristallisation oder des Vulkanismus zu handeln schien. Diese Türme befanden sich an der idealen Stelle, um Energie aus dem Temperaturunterschied zwischen den Magma-Ozeanen und den verhältnismäßig kühlen Landmassen zu gewinnen. Doch es war nach wie vor unklar, ob es das einheimische Pendant zu riesigen Bäumen oder ein Artefakt darstellte.
Eine zweite Welle von Sonden wurde in den Orbit gebracht. Sie verfügten über Antriebe, die sie an den äußeren Rand des Grats der Abstoßung drängten, so daß sie bei Maschinenschaden in den Weltraum davontrieben, statt auf Poincaré zu zerschellen. Größenvergleiche mit dem heimatlichen Universum waren diffizil, doch wenn sie ihre neuen 5-Körper als Maßstäbe benutzten, konnte Poincarés Hyper-Oberfläche zehnmilliardenmal soviel Bewohner wie die Erde aufnehmen – oder mehreren tausend industriellen Zivilisationen Versteckmöglichkeiten in den Spalten zwischen den mutmaßlichen Wäldern und gewaltigen Wüsten bieten. Die kartographische Erfassung des gesamten Sterns mit einer Auflösung, die eine Prä-Introdus-Großstadt von der Größe Schanghais offenbaren oder ausschließen könnte, wäre ähnlich aufwendig wie die Kartographie sämtlicher terrestrischen Planeten der Milchstraße. Das kreisförmige Band aus Bildern, die von einer Sonde während eines Umlaufs um die Hypersphäre aufgenommen wurden, entsprachen letztlich nur einem Nadelstich, und selbst wenn der Orbit auf eine vollständige Kugel erweitert wurde, ergab dies nur einen verhältnismäßig winzigen Ausschnitt – in den Proportionen genauso umfassend wie die Aufnahme eines Flecks auf einem gewöhnlichen Globus.
Als Carter-Zimmerman nun ebenfalls in einen antriebsgestützten Orbit ging, wurde der Anblick vom Flugdeck für Orlando immer überwältigender: zu detailliert und komplex, um alles erfassen zu können, aber viel zu interessant, um es nicht wenigstens zu versuchen. Jeder Blick war wie ein Tusch komprimierter atonaler Musik. Man konnte die Eindrücke nur ausblenden oder sie aufmerksam über sich ergehen lassen, obwohl sie auch dann keinen Sinn ergaben. Fr überlegte, ob er seinen Geist weiter modifizieren sollte. Schließlich dürfte kein Einheimischer und kein akklimatisierter Makrosphären-Bewohner auf den Anblick dieser Welt reagieren, als wäre alles eine von Drogen hervorgerufene Halluzination, kein normales Bild, sondern eine Massenstimulation von Netzwerken, die kurz vor dem Wahrnehmungskollaps standen.
Er ließ sein Sehzentrum durch sein Exo-Ich erweitern, indem eine Reihe von Symbolen integriert wurden, die auf verschiedene vierdimensionale Formen und dreidimensionale Begrenzungen reagierten – allesamt primitive Formen, die für Makrosphären-Bewohner vermutlich nicht exotischer waren als ein Berg oder ein Felsblock für einen Körperlichen. Nun wurde der Anblick von Poincaré ein wenig gezähmt, durch das neue Vokabular etwas verständlicher, obwohl es immer noch tausendmal dichter als jedes Satellitenbild der Erde oder Swifts war.
Gleichzeitig wurde die Schwebende Insel unerträglich, zu einer Zwangsjacke für seine Sinne, zu einem Sarg mit einem Nagelloch, durch das der Himmel hereindrang. Dasselbe galt für jede andere 3-Landschaft. Selbst wenn er zur dreidimensionalen Sinneswahrnehmung zurückkehrte, konnte er die neuen Symbole nicht mehr herausreißen, ohne damit gleichzeitig seine Erinnerungen an Poincaré zu verlieren. Fr spürte ständig die Abwesenheit der Stimulation, die genauso intensiv war, als hätte sich die Welt in ein gleichförmiges Weiß verwandelt.
Er hatte die Möglichkeit, zwischen zwei Symbolmengen – eine für 3-Landschaften und eine für 5-Landschaften – zu alternieren, während sein Exo-Ich die unübersetzbaren Teile seiner Erinnerungen speicherte. Das würde ihn letztlich in zwei Personen verwandeln, in serielle Klone. Wäre das wirklich so schlimm? Von ihm gab es bereits einige tausend
Weitere Kostenlose Bücher