Dich schlafen sehen
ganze Kraft, das bisschen Mut und Willenskraft, das mir geblieben war. Nur um wieder von ihr zu hören, dass ich ihre beste Freundin sei, der Mensch, der ihr am wichtigsten sei, und zwar für immer.
Ganz allmählich und unerwartet fing ich wieder an, jede ihrer Bewegungen zu belauern, einfach nur, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Und dann wurde es sehr schnell wieder zur Besessenheit. Alles fing wieder von vorne an. Sie lachte, verbrachte mit Freunden, die alle älter waren als sie – und die ich nicht leiden konnte –, was weiß ich wo ihre Wochenenden und Abende, ohne sich dazu herabzulassen, mich dazu einzuladen. Zum zweiten Mal wurde ich unsichtbar, war ich tot, weil sie mich ignorierte. Später, von einem wilden Verlangen getrieben, rief ich sie immer öfter mitten in der Nacht an, einfach nur um zu hören, dass sie zu Hause und nicht mit anderen zusammen war. Und wenn ich in ihre Wohnung kam, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, Gegenstände zu stehlen, die ihr gehörten, oder ihre Schubladen zu durchwühlen, denn sie konnte ja ebenso gut lügen oder Sachen vor mir verstecken. Innerhalb kürzester Zeit vertauschte sie die Rollen, und ich war es wieder, die ihren Trost brauchte, die vor ihr auf den Knien rutschte und um Aufmerksamkeit bettelte.
Als mir schließlich die Augen aufgingen, war es bereits zu spät. Sarah hatte mich benutzt, sie hatte meine Hilfe nur gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Sie hatte sich überhaupt nicht geändert. Ich hätte den Augenblick ihrer Schwäche ausnutzen und etwas unternehmen müssen, hätte sie meinerseits vernichten müssen, doch dazu war ich nicht im Stande gewesen, ich hatte ihr geglaubt. Als ich mir meinen verhängnisvollen Fehler eingestehen musste, als ich das Ausmaß ihres Verrats erkannte, erfüllte mich wieder Hass, nur stärker und schmerzlicher als jemals zuvor. Ich hatte alles verloren. Sie hatte mich getötet.
Ende Juni nahm alles eine andere Wendung. Der Sommer war gekommen, ein schöner Sommer mit viel Sonne. Ich blieb zu Hause, vergrub mich in meinem Zimmer, reagierte nicht auf die wiederholten Anrufe Maximes. Ich rief jeden Tag Sarah an, doch am anderen Ende der Leitung meldete sich immer nur die Stimme ihres Anrufbeantworters. »Äh, Sie sind mit Sarah und Martine verbunden. Leider sind wir im Moment nicht da. Hinterlassen Sie nach dem Piepston eine Nachricht, dann rufen wir Sie so bald wie möglich zurück. Danke und bis bald.« Das kurze Signal ertönte, und ich blieb stumm. Erst als die vorgesehene Zeit verstrichen war und wieder das Freizeichen aus dem Hörer ertönte, legte ich auf. Ich brachte meine Zeit damit zu, auf sie zu warten, auf einen Anruf, einen Besuch, einen Brief, egal was. Ich schrieb ihr so oft ich konnte. Ich schrieb ihr irgendwas, von dem belanglosesten Ereignis, das mein kleines Leben erschütterte, und als es nichts mehr gab, womit ich die Absätze füllen konnte, dachte ich mir etwas aus. Ich fragte mich, was sie wohl machte, wo und mit wem sie zusammen war, ob sie glücklich war, ob sie an mich dachte und ob ich ihr fehlte. Tage und Wochen vergingen: keine Nachricht von ihr. Da der Briefkasten jedes Mal, wenn ich nachsah, leer war und ich nur Briefe von Maxime darin fand, die ich nicht mehr zu öffnen wagte, sagte ich mir schließlich, dass es auf der Post wahrscheinlich Probleme mit der Adresse gebe und dass die Briefe, die sie mir geschickt hatte, irgendwo verloren gegangen seien. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass ich kein Lebenszeichen von ihr erhielt. Ohne sie wurde mir das Leben unerträglich. Der Wahnsinn nagte an mir. Doch ich wusste, dass sie zurückkommen würde. Ich wusste, dass sie mich nicht endgültig verlassen hatte und dass wir eines Tages wieder eins sein würden, sie und ich.
Nach und nach meldete sich die Stimme wieder. Ich ertappte mich dabei, wie ich Selbstgespräche führte.
»Was willst du denn von mir, Herrgott noch mal? Kannst du nicht endlich Ruhe geben und mich mein Leben leben lassen?«
»Lass mich. Du hast es nicht anders gewollt. Du bist selber schuld. Für einen Rückzieher ist es jetzt zu spät.«
»Was willst du denn noch? Warum quälst du mich so?«
»Damit du nachgibst, ganz einfach. Sobald du tust, worum ich dich bitte, wird sich alles ändern, das verspreche ich dir. Ich werde dich dann nie wieder behelligen. Du wirst so leben können, wie du es für richtig hältst. Denn ich werde dann sowieso nicht mehr da sein.«
»Sag mir, was ich tun soll,
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