Dichterliebe: Roman (German Edition)
aufgeregt wie Kinder. » Ihr seht besser aus, wenn ihr ein bißchen feucht seid!« schnurrt Gabriel. Sie setzen sich schlotternd und lachend, weiße Körner im Haar.
Man könnte meinen, nach einem solchen Auftritt der Natur hätte die Kunst keine Chance, doch das Gegenteil ist der Fall: Man ist hellwach, ans Große erinnert, auf Großes gefaßt. Sayed, der so oft bekiffte oder berauschte, albern kichernde Sayed, verwandelt sich vor unseren Augen in einen Propheten. Er werde aus seinem Gedichtzyklus Asyl vortragen, den ein Freund aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt habe, sagt er. Er habe diese Notizen im deutschen Asylheim verfaßt; formal habe er eine epische Form entwickeln wollen, für die es leider im Arabischen kein Vorbild gebe. Er wisse nicht, ob es gelungen sei; und sei auf unser Urteil gespannt.
Er spricht mit fester Stimme auswendig, die Augen geschlossen; mit dem schütteren Bart, den weichen Lippen und dem schmerzvollen Ausdruck könnte er als Märtyrer durchgehen. In Abständen wird er von nervösem Husten geschüttelt. Die Behinderten aus dem Pflegeheim husten mit, zuerst einzeln, dann im Chor.
Die Dichtung ist eine Elegie. Jeder Satz beginnt mit Ich, jeder bebildert ein Gefühl. Er sah sich im Traum als Falke, der im Sturm den Weg fand, und erwachte als gehetztes Pferd. Er streicht als Obdachloser um die Zitadelle der Hoffnung. Die Welt hat ihn abgeworfen in den Graben des Nichts. Es gibt keinen Weg ohne Worte. Er tastet sich über die löchrige Brücke der fremden Sprache. Wenn er wenigstens seine Enttäuschung ausdrücken kann, wird die Brücke tragen.
Er lauscht nach Worten im Dröhnen des Orkans.
Er betastet die Wörter mit zitternden Händen. Er will die Splitter seines Herzens festhalten. In den Splittern wird die Welt sich zeigen, blitzend und bunt, und das graue Gewebe der Stummheit zerreißen.
Nach der Lesung gibt es eine magere Diskussion. Sidonie bemerkt, daß vom Asyl ja gar keine Rede gewesen sei, sondern » immer nur« von der Seele des Dichters. Robert verteidigt Sayed: Bewegungen der Seele, indem sie das Äußere reflektierten, belebten dieses Äußere auch. In den Splittern wird die Welt sich zeigen … » Ja aber«, sagt Sidonie dämlich, » ich habe nichts von der Welt gesehen! Neulich hast du so interessant vom Asylantenheim erzählt, Sayed: von den taubstummen Polen, die immer mit Türen knallten, von den Diebstählen, von den Heimleitern, die Dokumente zurückhielten, um euch zu erniedrigen …«
Sayed lächelt vornehm: » Mir ging es um anderes. Das da sind Geschichten, die man auf der Straße findet.« Er blickt fragend zu mir. Er schätzt mein Urteil, was mich immer wieder in Verlegenheit bringt.
» Es sind ausdrucksvolle Gedichte«, sage ich zögernd. » Ästhetisch fremd durch die vielen Genitivmetaphern, Zitadelle der Hoffnung, löchrige Brücke der fremden Sprache, Splitter meines Herzens – leitet sich dieses Stilmittel aus der arabischen Tradition ab?«
Sayed legt die Stirn in Falten. » Wieso?«
» Im Deutschen sind sie ja heute eher verpönt. Andererseits: So gelesen wie von dir – gewissermaßen gesungen, ohne Hebungen – haben sie einen gewissen Reiz …«
Das Publikum zerstreut sich.
Wir Insassen gehen durch die Hintertür in den Garten, um zu rauchen. Draußen wieder klarer Himmel, das Gewitter ist abgezogen, die Luft frisch. Sidonie, als Nichtraucherin, strebt sogleich frierend ins Haus zurück, gefolgt von Robert, dem anderen Nichtraucher, der uns zuruft, er werde den Kamin anzünden.
Dort, nach einigen Gläsern Weißwein, erzählt Sayed, einer der Behinderten habe zu ihm gesagt: » Hattu gut macht!« Er lacht beschwipst. Gabriel hat drei Flaschen Wein aus dem Künstlerhauskeller aufgefahren und in der Gemeinschaftsküche Käsestangen gebacken. » Robert, Genosse! Heize, daß die Schamotte glüht!« ruft er. Das Feuer lodert, über dem Kamin zirpt ein Heimchen. Das Gespräch wendet sich noch einmal Sayeds Vortrag zu. Irene hat mehr lyrische als epische Elemente gesehen. Warum wolle Sayed unbedingt Epik schreiben, da er doch offenbar Lyriker sei?
Epik sei die Forderung der Gegenwart, antwortet Sayed. Es sei das Verhängnis der arabischen Kultur, daß sie immer noch keine Epik entwickelt habe.
» Tausendundeine Nacht?«
» Ein Märchenbuch!« Wieder der heilige Ernst. Sayed sieht den schmerzenden Mangel und zieht ohne Illusionen in den verlorenen Kampf. Epik sei der Weg von Beobachtung und Übersicht, erklärt er, und genau der fehle der
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