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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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stolpere beinah über Sidonie.
    Sidonie auf dem Gartenstuhl. Sidonie liest vor meinem Haus Gedichte und staunt mich an. Sie hebt das Gedichtbuch und bekennt, sie habe gar nicht gewußt, daß immer noch Gedichte geschrieben werden, und dann so schöne! Ich bin sprachlos. » Kennst du das?« schwärmt sie. Und rezitiert das Gedicht von den vier weißen Tauben, die sich in das Blau des Himmels schrauben.
    Es ist schön, sich im Aufwind zu wiegen
    Es ist gut, nicht alleine zu fliegen
    Es ist klar, daß Steigen schon viel ist
    Es ist wahr, daß der Weg das Ziel ist.
    » Robert Gernhardt!« ruft sie stolz, als hätte sie eben Amerika entdeckt. » Ich weiß zwar nicht warum, aber ich find’s klasse. Was sagst du als Fachkollege?«
    Ich als Fachkollege bin nicht in der Verfassung für … Nachhilfeunterricht. Ich habe bemerkt, daß sie eine feine Stimme hat, nicht satt und dunkel wie die von Irene, sondern frisch, hell und in dieser tastenden Modulation fast mädchenhaft. Und wie sie mich jetzt ansieht, bewundernd nur deshalb, weil ich ein Kollege von Robert Gernhardt bin, dem souveränen, weltfrohen Star, das geht mir durch und durch.
    » Schöner Einfall … gelungene Form, geschmeidig … Vielleicht etwas gefällig? Aber es geht ihm vielleicht einfach gut? Mir – mir geht es nicht gut. Deswegen … kann ich – nicht …«
    Sie sieht weiterhin von ihrem Stuhl zu mir auf, immer noch bewundernd, aber auch mitfühlend, und schon wieder erzähle ich alles. Sie hört aufmerksam zu und verwandelt sich von der Verehrerin in eine kompetente Westfrau.
    » Kannst du deine Frau nicht einfach ansprechen, die Sache im Guten zu regeln?«
    » Nach einem Ehekrieg ist nichts einfach, meine Liebe.«
    » Vielleicht nicht einfach«, gibt sie zu, » aber lösbar.«
    Ich ärgere mich. » War es einfach mit deinem Zahnarzt? Zahlt er? Freiwillig?«
    » Wir waren nicht verheiratet«, sagt sie. » Er zahlt nichts. Am meisten reut mich die vergeudete Zeit. Aber die hab ich ja selbst vergeudet. Willst du keinen Schlußstrich ziehen?«
    » Schlußstrich!« Ich ringe um Luft. » Wie soll das gehen?«
    » Schreib ihr einen Brief. Etwa so: Du hast deine Erbschaft und bist mich los, was willst du mehr?«
    » Nein!« Gott, macht die sich’s leicht. Mich packt der Zorn. » Ich will einen Teil von der Erbschaft! Ich habe meine Frau zehn Jahre lang ernährt, was in der DDR keineswegs selbstverständlich war. Warum gibt jetzt nicht sie mir was ab?«
    » Wie, eben warst du verzweifelt, weil du zahlen sollst, und auf einmal sollst gar nicht du zahlen, sondern sie?«
    » Na und?«
    » Dann mußt du dir einen Anwalt suchen.«
    » Mein Anwalt hat mir abgeraten. Er sagt, dieses Geld sei kein Zugewinn, sondern eine Schenkung. Aber ich sehe das nicht ein. Übrigens muß ich mich von dem Anwalt sowieso trennen, er wird mir zu teuer.«
    » Dir ist schwer zu helfen«, sagt Sidonie nachdenklich.
    Was soll ich sagen? Mir ist überhaupt nicht zu helfen. Ich sollte mich umbringen, ich weiß nur nicht wie. Vergiften und Aufhängen ist unmännlich, eigentlich müßte ich mich erschießen. Aber wie geht man mit einer Pistole um?
    *
    Heute ist der Gips abgenommen worden, und ich weiß noch nicht, wie stark ich den Fuß belasten darf. Sicherheitshalber stütze ich mich auf die Krücke für meine ersten Schritte vom Auto zum Schafstall. Vielleicht sitzt Sidonie wieder dort? Ich habe ihr Schneehänge im Erzgebirge geschenkt, ganz korrekt, nachdem schließlich auch sie mir ihr Buch geschenkt hat. Ich hatte auch erwogen, ihr Pechbrand zu schenken, na, kommt vielleicht noch. Sidonie mein Buch lesend vor meiner Schwelle, das wäre nett, ich freue mich direkt auf ihre einfältigen Kommentare.
    Doch sie ist nicht da.
    Ein warmer Tag, bißchen windig. Keine Lust auf Karatschinzews Elegien in meinem düsteren Stall. Unsicher auf meinem schwachen Fuß gehe ich durch den Garten, der weitläufiger ist, als ich dachte. Die alten Eichen und Buchen hinter dem Schafstall hatte ich natürlich gesehen, aber die Streuobstwiese nie. Erst dort begrenzt ein Feldweg das Grundstück. Jenseits des Feldweges beginnt eine weite Wiese.
    Auf dieser Wiese ist was los. Lieferwagen, Pkws; Publikum steht um einen großen Korb, an dem Seile hängen, Leute entfalten einen riesigen Balg – hier ist offenbar der Startplatz der Ballons, die manchmal hinter dem Garten aufsteigen. Ich sehe eine Weile zu, ziemlich umständlich das alles, da kann man ja Tee trinken, bis der erste Meter geflogen ist. Ob ich rüber zum

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