Dichterliebe: Roman (German Edition)
Wörter im Flug. » Was machst du damit?« frage ich.
» Ich baue sie zu freien Versen zusammen und lege sie für ein Jahr in die Schublade. Dann hole ich sie wieder raus und feile, bis es paßt.«
» Wie merkst du, wann es soweit ist?«
» Wenn ich nichts mehr ändern will.«
» Für wen schreibst du?«
» Für die, die lesen können.«
» Was bringt das?«
» Protest«, antwortet sie ruhig. » Der Markt tötet die Kunst. Wir wollen ein Gegenmodell entwerfen, eine nicht gefällige, nicht korrupte Kunst.«
» Wir« ist eine Gruppe rabiater Lyriker, die alle in Züricher Kellern leben, am Existenzminimum, weil so was natürlich keiner liest. Nur die parodierte Pop-Lyrik bringt gelegentlich ein paar Franken.
Verwandte im Geiste
Der übliche Psychomüll
sofort mit 70 kg Zugkraft belastbar
rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.
Nichts gelernt aus der hohlen Hand vor der Tür.
Ich hab’s ehrlich gelesen. Dieser Band heißt: Neue Kleider ersetzen den Mut zur Zurückhaltung. Seit zwei Wochen fürchte ich, sie wird nach meiner Meinung fragen. Aber hier, in dieser Eisdiele, sehe ich: Sie ist erhaben über das Urteil eines Mannes wie mir.
Diese unerbittliche Forscherin an den Rändern der Poesie ist im Umgang eine diskrete, milde, fast mütterliche Frau. Sie hat Grübchen, ein kluges Gesicht, funkelnde hellbraune Augen, schulterlanges dunkles Haar. Berückend kontrastiert ihre dunkle, warme Stimme mit dem gutturalen Schweizer Akzent. Irene wiegt den Kopf und lächelt, sie steht im Bann eines Kunstwillens, dessen Brutalität sie vorerst noch als Stärke oder Auszeichnung genießt, eine verwunschene Prinzessin. Leider hat sie auch einen Prinzen, ebenfalls aus dieser Hungerleidertruppe. Er kommt manchmal zu Besuch: Kettenraucher wie sie, ein schöner, großer Mann mit Locken. Schade. Wäre sie frei, ich würde sie heiraten.
*
Der Weg durch die Scheune führt an mehreren Boxen vorbei – früher standen Pferde darin, die Gitter machen mich jedes Mal schaudern. Außerdem hasse ich die zeitgeistigen Aufschriften. In der Medienbox stehen Fernseher, Video, ein Kassettenrecorder und sechs Stühle, und manchmal habe ich Lust fernzusehen, aber eine Medienbox betrete ich nicht. Die Fax - und Kopierbox meide ich nicht so konsequent, da wir gratis faxen dürfen. Und in der Postbox ist mein Brieffach, die frequentiere ich wie ein Süchtiger in der Hoffnung auf einen handbeschrifteten Brief oder wenigstens eine bunte Marke.
Enttäuschung auch heute, handgeschrieben nichts, Amtspost automatenfrankiert, ein Brief von einer Inkasso-Firma, einer vom Verlag. Mit Herzklopfen in den Schafstall, Inkassobrief aufgerissen, es handelt sich um eine Rechnung. Ich überfliege: Restbestände (makuliert) – ach Gott. Meine Bücher, unverkäuflich. Ich hatte sie, als ich noch in Halle lebte, vom Verlag geschenkt bekommen und die Kisten bei meinem Auszug zusammen mit ein paar unbrauchbaren Möbeln zurückgelassen. Das alles hat Marita jetzt weggeworfen, die Rechnung wird gestellt für Entsorgung verschiedener Gegenstände, Menge: 1/2 Container.
Der nächste Brief ist Verlagspost aus der Honorarabteilung. Die Fänge der Freiheit haben sich schlecht verkauft, 1600 Exemplare von einer 3000-Stück-Auflage. Die Statistik endet mit der Feststellung eines Minus-Saldo zu unseren Gunsten. Vor drei Jahren hatte ich fünftausend Mark Vorschuß bekommen, die sind längst weg.
Die Krankenversicherung wiederum schickt einen Fragebogen wegen des verstauchten Fußes. War die Treppe im Pini di Roma feucht, schartig, unregelmäßig, zuviel gebohnert (Zutreffendes bitte ankreuzen) ? Wie kommen die auf Pini di Roma? Ich hatte doch geschrieben, ich sei zu Hause gefallen, kein Restaurant, keine Treppe! Oder habe ich etwa mal was anderes gesagt? Wo bin ich eigentlich gestürzt?
Dann Steuer, Rechnungen, der unpersönliche, unmenschliche Ton. Ich fange an zu zittern, mein Magen dreht sich, auf einmal fließt mir Wasser aus den Augen. Soll ich wirklich meine Frau unterstützen? Ich verdiene doch nichts! Das Stipendium reicht nicht mal für die laufenden Kosten, da ich ja auch meine Speyer-Miete zahlen muß, und was danach werden soll, steht in den Sternen. Was will die Frau von mir? Sie hat doch gerade geerbt!
Ich stürze aus dem Haus hinaus in den Sommer, alle genießen ihr Leben, Robert wollte mit dem Bus nach Holland, Irene besucht ihre Bildhauer, Sayed kocht – nur ich … ich irre am hellen Tag dem Abgrund entgegen. Ich bin geblendet, ich stolpere – ich
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