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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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arabischen Welt. Es gebe Lyrik, sehr gute Lyrik, doch auch dort ein Übergewicht an Pathos und Sentiment. Keine Vernunft. Epik habe sich nicht entwickeln können, früher nicht, weil es keine Tradition gab, später nicht, weil die osmanische Herrschaft geistige Freiheit unterdrückte, in der Gegenwart nicht, weil der Islam die Erneuerung der Sprache verhindere. Es gebe bis heute keine richtigen arabischen Lexika, keine verbindliche Grammatik. Bei Streitigkeiten sei man gewiesen, sich an die Sprache des Koran zu halten. Das Arabische sei verklebt von sinnlos gewordenen altertümlichen Worten und Wendungen, versteift von hölzerner Rhetorik, ein Popanz. Deswegen liege die arabische Kultur darnieder. Er selbst bemerke die vielen leeren Formeln in seinen Texten, wenn er sie ins Deutsche zu übersetzen versuche.
    » Es ist schade«, sagt er, » um meine blinde Heimat und um meine besinnungslose Sprache. Ein Herz, das nicht lieben darf, muß wenigstens ehren, sonst trocknet es aus.«
    Wir werden sentimental. Jemand hat letzte Woche im Spiegel die Erinnerungen der Meinhof-Töchter gelesen. Ulrike Meinhof, die in der Isolationszelle nach vier Jahren Selbstmord beging: Ist nicht Ähnliches mit ihr passiert, ist nicht auch ihr Herz vertrocknet? Sie habe manchmal das Gefühl gehabt, ihre Zelle bewege sich. Nur wenn die Sonne hereinschien, stand die Zelle still, verankert an der Säule der Sonne.
    » Ich«, bemerkt Gabriel, » war als Achtzehnjähriger im Stollen der Wismut, unterernährt, fünfzig Stunden die Woche, Lärm, Staub in der Lunge, Radon im Körper, kein Gespräch. Da hatte ich auch das Gefühl, daß meine Herznerven zerspringen wie Glas. Später behauptete ich meinen Frauen gegenüber, ich könne wegen dem Uran nicht mehr lieben. Sex, o ja, immer, niemals genug. Aber Gefühle – nein, täte mir leid. Erst in meiner reiferen Jugend habe ich die wirkliche Liebe kennengelernt. Anna, hörst du uns?« fragt er in den Äther.
    » Wie drückt sich reifere Jugend in Zahlen aus?« möchte Sidonie wissen.
    » Fünfundfünfzig.«
    » Oh. Wir gratulieren!« Man stößt auf Anna an.
    Später fragt er Sidonie, welche Präservative sie bevorzuge: » Sag mir, Teuerste: dicke oder dünne, glatte oder genoppte?«
    » Du wirst niemals in der Situation sein, Teuerster, diese Information zu benötigen.«
    Er lächelt mit feuchten Augen: » Trotzdem schön, daß es dich gibt.« Kurz darauf schläft er mit gefalteten Händen auf seinem Stuhl ein.
    *
    Irene Ammann hat angeboten, mir bei der Eröffnung eines Staverfehner Kontos zu helfen. » Donnerwetter!« ruft sie, als wir uns um elf Uhr vor dem Haupthaus treffen. » Ein Blazer von Joop!«
    » Das hat mir meine Frau gekauft, als sie noch was für mich kaufte.«
    Warum sage ich das? Ich wollte ihr imponieren, das ist gelungen, und dann mußte ich gleich wieder klagen. Irene lächelt stumm, sie will das Thema nicht vertiefen, doch ich habe meine Fassung verloren, zuviel getrunken wie immer, und auf dem Weg – es sind nur ein paar hundert Meter – kämpfe ich vergeblich mit meinen zerfetzten Nerven. In der Sparkasse bin ich kaum imstande, dem adretten Angestellten zu folgen, der einen Fragebogen ausfüllt. Ich bin nicht – im – Stande. Außer Stande. » Familienstand?« fragt er. Ja was soll ich sagen? Ich lebe in Scheidung, bin aber noch nicht geschieden, also was bin ich dann? Er beugt den hübschen Kopf über sein Papier und schreibt: gtrl. » Was heißt das?« frage ich beunruhigt.
    » Getrennt lebend.«
    » Gtrl, gtrl, gtrl …«, murmle ich nervös.
    » Ein Amtskürzel«, erklärt er. gtrl! Ein mickriges, spitziges Konsonantenknötchen für meine Verzweiflung, meine Verlassenheit, meinen Niedergang! Ich springe auf. Das ist nicht meine Welt. Irene zieht mich sanft am Arm, auf den Stuhl zurück. Die weiteren Fragen beantwortet sie für mich. Erst die Frage nach meinem Beruf bringt mich wieder in die Spur. » Schriftsteller!« stoße ich hervor. Hierüber, immerhin, scheint er beeindruckt. Aber vielleicht macht er sich auch lustig?
    Als die Prozedur überstanden ist, lade ich Irene in die Eisdiele ein. Wir trinken Kaffee und rauchen. Irene ist bestrickend. Sie schreibt eine hermetisch experimentelle Lyrik aus selbstgebauten Wörtern, Tribut an die Hohe Kunst, und gelegentlich Satirisches aus collagierten Zeitungsfetzen, um sich Luft zu verschaffen. Manchmal beobachte ich sie. Sie träumt auf dem Mäuerchen vor meinem Haus in die Abendluft, als erhasche sie mit einem zweiten Gesicht

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