Dicke Moepse
wollt nur sagen, dett unsa Chef, unsa neua, in zwee Minuten da is und wir alle uns bereits versammelt haben, um ihn zu begrüßen.«
»Oh … so ein Mist! Das habe ich ja komplett vergessen!« Der »Neue« fängt heute bei uns an. Na super, Frau Jakob. Das haben Sie ja mal wieder prima hingekriegt. Gleich zu Beginn einen unzuverlässigen Eindruck hinterlassen. Ganz toll.
»K … k … kannst du mich bitte entschuldigen? Ich bin in zwanzig Minuten da«, stammele ich hastig.
»Wieso icke?« Stefan, die Pestbeule, scheint die Situation zu genießen.
»Bitte, lass dir was einfallen. Ich flehe dich an. Ich beeile mich auch!« Während ich noch ins Telefon säusele, flitze ich bereits in mein Zimmer und krame meinen Overall heraus. Beigefarben mit unserem roten Logo auf dem Rücken. »Willbert-Zoo-Personal« steht in großen Lettern darauf. Praktisch, zweckmäßig und unwahrscheinlich kleidsam. Lehnt man sich damit an eine dreckige Hauswand, verschmelzen Anzug, Gesicht und Mauer zu einer einzigen Masse. Als hätte David Copperfield höchstpersönlich unsere Outfits entworfen.
»Und was hab ick davon?«, bellt Stefan am Ende der Leitung, während ich meine Arbeitskleidung und frische Socken anziehe.
»Sag einfach, ich stecke im Stau und bin gleich da. Ich miste dafür auch zweimal bei Kurt, Dagmar und Gotthilf für dich aus!« Das wird er sich nicht entgehen lassen. Keiner putzt gerne bei unseren Zwerg-Nilpferden, seit Baby Gotthilf da ist. Unsere pummeligen Flussfreunde sind seitdem hysterisch und betreiben verstärkt Defäkation. Das bedeutet: Sie markieren ihr Revier mit großen Kothaufen, die andere davon abhalten sollen, in ihre Nähe zu kommen. Manchmal werfen sie auch damit. Da wir ein Zoo sind, der sich vorwiegend über die Eintrittsgelder unserer Besucher finanziert, ist das nicht unbedingt gewinnfördernd. Das Leben ist ungerecht. Schließlich habe auch ich mit einem großen Haufen Mist zu kämpfen, und trotzdem lässt man mich deswegen nicht in Ruhe.
»Dreimal, aber ick werd nich für dich lüjen. Ick sach einfach, du verspätest dir. Aber wennse nachfragen, biste jelackmeiert! Denn sach ick die Wahrheit, und zwar, dasste vapennt hast!«
»Wenn du nicht anders kannst, meinetwegen. Ich beeile mich.«
Wütend knalle ich den Hörer auf die Gabel und laufe in Windeseile ins Badezimmer. Fürs Duschen bleibt leider keine Zeit mehr, auch wenn ich den sündigen Geruch der letzten Nacht nur zu gerne abgespült hätte. Ich wasche schnell das Gesicht und fahre mir durch die langen blonden Haare. Mehr Aufwand würde meine Tiere sowieso nur verschrecken. Sie lieben mich so, wie ich bin: natürlich und immer mit einem Leckerbissen in der Tasche.
Fünfzehn Minuten später – absoluter neuer Spitzenrekord! – renne ich in einem Affenzahn den Kiesweg bis zum Verwaltungsgebäude hinunter, das grün und quadratisch am Rande unseres Geländes thront. Mit Schwung stoße ich die Tür zu unserem Konferenzraum auf, und noch im selben Moment pralle ich wie vom Nilpferd getreten zurück. Meine Kollegen sitzen brav in Reih und Glied nebeneinander und starren wie gebannt auf einen hochgewachsenen Mann, Mitte 30, mit dunkelblonden Haaren und strahlend grünen Augen namens Andreas. Andreas Tannenbach, um genau zu sein, aber so genau haben wir es gestern Nacht nicht genommen. Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrtmachen. Da aber alles in meine Richtung starrt, ist es wohl besser, etwas zu sagen. Ich möchte schließlich künftig nicht inkognito durch den Zoo laufen müssen.
»Bitte entschuldigt die Verspätung, das war vielleicht wieder ein Verkehrschaos heute Morgen …«, murmele ich mit gesenktem Haupt und nehme auf einem der freien Stühle Platz.
Andreas lächelt mir zu und streckt mir seine Hand entgegen. Nur ein leichtes Zucken in seinen Mundwinkeln verrät, dass mein Auftritt ihn etwas aus seinem Konzept gebracht hat. Doch Andreas scheint sich schnell wieder zu fangen, denn er fährt mit seinem Vortrag fort.
»Nachdem nun auch Frau Jakob zu uns gefunden hat, fasse ich noch einmal kurz zusammen, was in nächster Zeit auf euch zukommt. Um den Umgang untereinander einfacher zu machen, bitte ich die Kollegen, mich mit du anzusprechen. Das schafft einen persönlicheren Ton, das kommt auch bei den Besuchern gut an. Im Übrigen liegt dem Willbert-Zoo durch meine guten Beziehungen nach China ein Angebot vor, das uns schnell aus unserem aktuellen finanziellen Engpass retten könnte: Die Chinesen haben großes Interesse an
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