Dicke Moepse
unserem Giraffen-Nachwuchs. Die Verträge liegen bereits vor, und ich bitte euch, mich umgehend zu informieren, wenn der Nachwuchs kommt.«
Auch das noch. Die Giraffen sind meine Aufgabe, weil Giraffen-Bulle Eric sein Herz an mich verloren hat. Ich bin die Einzige, von der er seine Karotten aus der Hand frisst. Alle anderen hält er auf Abstand, was bei einer Giraffe von vier Metern Höhe gemeinhin schnell akzeptiert wird. Zwar sind Giraffen recht friedliche Tiere, wer aber schon einmal gesehen hat, wie zwei Männchen aufeinander losgehen, während sie ihre langen Hälse herumschwingen, hält sich lieber ein bisschen fern. Zu mir ist Eric lammfromm, also im übertragenen Sinne natürlich. Schafe haben mit Giraffen etwa so viel gemeinsam wie mein Bankkonto mit dem von Donald Trump. Eric ist übrigens eine Thorncroft-Giraffe, die man in freier Wildbahn nur noch selten zu sehen bekommt, und einer der Gründe, warum ich nicht traurig bin, keine Tierärztin geworden zu sein. Jeder, der schon einmal eine Giraffe dabei erlebt hat, wie sie mit ihrer blauen Zunge behutsam die Möhren aus der Hand greift, weiß, wovon ich rede. Im letzten Jahr kauften uns die Holländer noch ein Weibchen dazu. Das Wunder war perfekt, als Eric und Lucinda, so haben wir die langhalsige Dame genannt, tatsächlich Gefühle füreinander entwickelten und sich schließlich paarten. Jetzt ist Lucinda hochschwanger und erwartet in wenigen Wochen Nachwuchs. Ich bin ja schon so aufgeregt! Natürlich hatte ich gehofft, wir könnten die kleine Giraffe erst einmal bei uns behalten.
»Wir können den Nachwuchs aber nicht gleich von der Mutter trennen. Kind und Mutter müssen mindestens eineinhalb Jahre zusammen verbringen, damit der Nachwuchs überlebensfähig bleibt«, bemerke ich deshalb kritisch.
Andreas blickt mich ungläubig an, dann antwortet er mit arroganter Stimme:
»Liebe Rosi, es ist schön, dass du deinen Job ernst nimmst. Offenbar sorgst du dich um das Wohlergehen der Giraffen mehr als um deinen Arbeitsplatz. Nur zu deiner Beruhigung: Wir werden Mutter und Kind natürlich nicht voneinander trennen. Dass das nicht funktioniert, weiß ich auch. Die Chinesen haben sich bereit erklärt, beide Tiere, also Mutter und Kind, zu kaufen!«
»Aha. Das sind ja tolle Neuigkeiten. Und welche Tiere sollen sonst noch verscherbelt werden?«, zische ich Erika Sonnebank zu, unserer Buchhalterin. Leider etwas zu laut, denn Andreas hat es offenbar gehört.
»Wenn der Deal glattgeht, wird der Zoo wirtschaftlich wesentlich besser dastehen, sodass ansonsten alles beim Alten bleiben kann. Vorerst«, sagt Andreas in meine Richtung. Der Typ hat keinen blassen Schimmer, dass er es hier mit Lebewesen zu tun hat! Ich spüre, wie die Wut in meinem Bauch zu kochen beginnt. Man kann doch Tiere nicht verkaufen wie Pullover oder Apfelsinen!
»War es das?«, frage ich ungeduldig, denn ich habe das dringende Bedürfnis, den Raum zu verlassen.
»Nein, wir sind noch nicht fertig. Ich würde gerne noch kurz unter vier Augen mit dir sprechen. Den anderen wünsche ich für die Zukunft eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wenn etwas anliegt, meldet euch bei mir. Ihr wisst ja, wo ich zu finden bin!«
Anerkennendes Klopfen ertönt. Während meine Kollegen, allen voran Stefan, mir vielsagende Blicke zuwerfen, weil sie annehmen, dass ich jetzt noch eine Standpauke wegen Zuspätkommens bekomme, verlassen sie nach und nach unser Besprechungszimmer, bis Andreas und ich allein sind. Er macht einen Schritt auf mich zu und rückt mir damit für meinen Geschmack etwas zu dicht auf die Pelle.
»Na, hat da jemand schlecht geschlafen die letzte Nacht? Um ehrlich zu sein, ich hätte dich ohne die ganze Kriegsbemalung fast nicht erkannt.« Er grinst mich herausfordernd an.
»Sehr witzig. Wenn ich gewusst hätte, welche Art von Typen sich in dieser Bar herumtreiben, wäre ich gar nicht erst reingegangen«, entgegne ich trocken.
»Verstehe. Nun, wie ich aus deinem Verhalten unschwer erkennen kann, sind wir uns einig, dass wir den Vorfall von letzter Nacht für uns behalten. Ich werde das Ganze unter der Kategorie ›nie passiert‹ in meinem Poesiealbum abheften.« Andreas klopft mir kumpelhaft auf die Schulter. Ich weiche reflexartig einen Schritt zurück.
»Danke, das sehe ich genauso. War es das? Ich hab noch einiges zu tun.«
»Das war es von meiner Seite. Ich hoffe, der kleine Zwischenfall wird unsere künftige Zusammenarbeit nicht unnötig belasten. Aber ich gehe davon aus, dass du das
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