Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
übelriechenden Schleimschicht bedeckt. Zwischen den Zähnen hingen die Gräten von Haifischen, kleinen Walen und die Knochen von Robben und Seelöwen, die wohl aus Versehen hier hineingeraten waren. Ich sah sogar ein zerschmettertes Ruderboot mit zwei menschlichen Skeletten im hinteren Rachenbereich. Unter mir öffnete sich schmatzend die Speiseröhre, um mich aufzunehmen und in den Verdauungstrakt zu befördern. Ich war sogar in der Lage, die Unterschiede zu analysieren, die zwischen dieser und der recht ähnlichen Begegnung mit dem Tyrannowalfisch bestanden. Es waren folgende: 1. Der Wal hatte nicht aus bösem Vorsatz versucht, mich zu verschlingen. Die Gourmetica handelte nicht nur vorsätzlich, sondern hatte alles von langer Hand geplant und aufwendig inszeniert. 2. Beim Wal wurde ich durch Wasser ins Maul gespült, diesmal befand ich mich in freiem Fall. 3. Hier gab es keine Barten, an denen ich mich hätte festklammern können.
Ich schloß die Augen.
In diesem Moment umklammerte etwas sehr Kraftvolles mein rechtes Handgelenk und bremste meinen Sturz. Eine Sekunde hing ich noch über dem Schlund, dann wurde ich in die Höhe gerissen. Ich schlug die Augen wieder auf und blickte nach unten: Ich wurde tatsächlich aus dem Rachen der Pflanzenbestie gezogen.
Das Gebiß des Monstrums schloß sich knirschend, um meine Flucht zu vereiteln, aber kurz bevor die mächtigen Zähne aufeinanderschlugen, wurde ich durch den verbliebenen schmalen Spalt ins Freie gerissen. Immer weiter ging es nach oben. Unter mir wand sich die Gourmetica in rasender Wut. Sie holte noch einmal aus, klappte das Riesenmaul auf und schnappte nach mir. Aber ich hatte schon zuviel an Höhe gewonnen. Erfolglos krachten ihre fauligen Kiefer aufeinander. Sie schüttelte ihr riesiges Haupt und stieß ein fürchterliches Wutgeheul aus, das weit über den Ozean dröhnte.
Erst jetzt wagte ich, nach oben zu sehen.
Ein ziemlich großer - ich zögere zu sagen - Vogel hielt mich in seiner Klaue. Ich pendelte unter ihm wie ein Postsack, der jeden Moment abgeworfen wird.
»Da haben wir aber noch mal Schwein gehabt, wie?« sagte der seltsame Vogel.
Mir fehlten die Worte. Er ließ mich los, und ich stürzte in die Tiefe, genau auf das brüllende Maul der Gourmetica zu. Der Vogel drehte einen gewagten Looping und ließ mich auf seinen Rücken plumpsen. Schwerfällig setzte ich mich auf. »Äh ... vielen Dank für die Rettung!« hörte ich mich verdattert sagen.
Der schräge Vogel drehte langsam seinen Kopf in meine Richtung und sah mich mit weit aufgerissenen, wäßrigen Augen an.
»Schon gut!« sagte er. »Das ist mein Beruf.«
»Du rettest Leben? Das ist dein Beruf?« Ich war erstaunt. »Ich rette Leben in letzter Sekunde!« gab der Vogel etwas prahlerisch zurück. »Das ist mein Beruf!«
Er schwieg eine Weile, anscheinend um die Nachricht auf mich wirken zu lassen. »Gestatten: Deus X. Machina!« stellte er sich dann vor. »Ein Künstlername, ehrlich gesagt. Aber du kannst mich Mac nennen. Alle nennen mich so.« »Angenehm!« sagte ich. »Mein Name ist Blaubär.«
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
Pterodaktylus Salvatus, der: Der Pterodaktylus Salvatus oder Vagabundierende Rettungssaurier gehört zur aussterbenden Familie der Dinosaurier, wie der zamonische ->Kanaldrache und der ->Tyrannowalfisch Rex. Weltweit schätzt man die Anzahl der lebenden Pterodaktylen auf einige tausend, aber ihre Zahl dezimiert sich ständig. Pterodaktylen besitzen zwar einige Eigenschaften von Vögeln, wie etwa zur aerodynamischen Fortbewegung taugliche Schwingen und Hornschnäbel, andererseits legen sie keine Eier und benehmen sich auch ansonsten sehr vogelunspezifisch. Sie essen keine Würmer oder Feldmäuse, sondern ernähren sich aus Gründen der körperlichen Kondition rein vegetarisch und sind sprachbegabt, sogar auf ziemlich hohem Niveau. Ihnen allen eigen ist der Hang, bedrohten Lebensformen aus der Gefahr zu helfen. Dieses Ziel verfolgen die Pterodaktylen mit geradezu professionellem Ehrgeiz. Die Rettungssaurier operieren nach einem strengen Berufskodex. Sie streben danach, ihre Aktionen so aufregend und dramatisch wie möglich zu gestalten, sie konkurrieren sogar untereinander, wer am längsten wartet, bevor er zur Rettung ansetzt. Deshalb verweilen sie so lange im Trudelflug über ihren Klienten und warten mit ihrer Hilfeleistung buchstäblich bis
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