Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Schokoladenkugeln von den Kakaopflanzen. Gelegentlich ärgerte ich mich, daß das kulinarische Angebot so eingeschränkt war. Nach einem halben Jahr führte ich das zweite Frühstück ein, bestehend aus einer doppelten Honigtoastschnitte, außerdem den Nachmittagskuchen (vom Kuchenbaum), den Dämmerschoppen (Pilze mit blauem Blumenkohl) und die Fruchtplatte vor dem Einschlafen. Die langen Spaziergänge ersetzte ich durch Nickerchen. Mit der Zeit wurden die Abstände zwischen den Mahlzeiten immer geringer. Ich schob noch Sondergänge zwischen das erste und zweite Frühstück (Zwischenfrühstück nannte ich das), kurz vor dem Mittagessen gab es Appetithäppchen (Marzipanfrüchte, Kakaokugeln, Honig pur) und anschlie- ßend einen Kuchengang. Nachmittags Kartoffeln und Spaghettilianen in Tomatensoße, nachher noch mal Kuchen und Früchte. Das Abendessen wurde in mehrere Gänge eingeteilt, um es bis zum Schlafengehen auszudehnen. Meistens aß ich zunächst einen ganzen Pilz, anschließend einen blauen Blumenkohl. Kurze Verdauungspause, etwas Milch. Dann gebratene Kartoffeln mit Rauke, danach Kuchen. Kurz vor dem Einschlafen noch ein paar Honigtoastschnitten. Schließlich stand ich sogar nachts auf, um zu essen. Ich torkelte schlaftrunken durch den Wald, hängte mich kopfüber in den Milchfluß, stopfte Kakaokugeln in mich hinein oder schlürfte den wilden Honig direkt aus den Kelchen. Danach plagten mich oft schlimme Alpträume, die meist vom Essen handelten.
Mit der Vegetation der Insel ging eine erstaunliche Wandlung vor sich. Wenn ich mich an irgendeiner Speise überfressen hatte, ließ eine gütige Natur irgendwo eine neue, raffiniertere Leckerei wachsen. Im Wald wucherten neuerdings unterirdisch dicke, heftig duftende Trüffelpilze. Ich mußte mich an ihren intensiven Geschmack gewöhnen, aber sobald das geschehen war, konnte ich nicht mehr von ihnen lassen. Besonders zu den Lianenspaghettis paßten sie ausgezeichnet. Steinpilze wuchsen jetzt an der Stelle, wo vorher die ordinären großen Champignons gestanden hatten, sie waren mannshoch und bildeten eine elegante Kombination mit frischer Rauke. Am Strand wurden neuerdings Unmengen von Austern angespült. Ich wäre vorher niemals auf die Idee gekommen, eine rohe, glitschige Auster zu verspeisen, aber mein Gaumen war immer empfindlicher geworden, meine Zunge wählerischer, mein Appetit kultivierter. Bald schlürfte ich zwischen jedem Gang ein, zwei Dutzend Austern. Aus dem Meer kamen große Hummer angetorkelt und stürzten sich selbstmörderisch in den brodelnden Öltümpel. Nachdem ich einmal gelernt hatte, wie man ihren massiven Panzer knackt, entdeckte ich darin das köstlichste Fleisch.
Ich hatte mir angewöhnt, den Tag in Gänge einzuteilen. Richtig schlafen konnte ich gar nicht mehr, dazu war mein Magen immer zu voll. Ich dämmerte nur noch ein wenig und träumte im Halbschlaf von der nächsten Mahlzeit. Körperliche Bewegung hatte ich mir komplett abgewöhnt, ich kroch oder rollte mich einfach von einem Gang zum nächsten.
Ein Jahr war inzwischen vergangen, und ich war so fett wie eine Schweineschwarte und so rund wie ein Fußball. Ich wog ein Vielfaches von dem, was ich gewogen hatte, als ich meinen stolzen Entdeckerfuß auf die Insel setzte. Das Meer hatte ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen, ich starrte vor Dreck und stank wie eine Imbißbude, aus all meinen Poren transpirierte das Speiseöl. Ich wusch und kämmte mich nicht mehr und war seit Wochen nicht mehr aufgestanden. Jede Bewegung verursachte mir schreckliche Umstände und Schweißausbrüche. Mein Atem ging rasselnd und pfeifend, und wenn ich an mir herunterblickte, konnte ich meine Füße nicht mehr ausmachen, weil der Bauch den Blick darauf versperrte. Selbst meine Augendeckel waren dicker geworden, es machte mir immer größere Mühe, sie offenzuhalten. Ich dachte an nichts anderes als an Essen. Ich stellte ununterbrochen neue Menüfolgen zusammen, lechzte nach neuen Gaumensensationen und kombinierte im Geist immer gewagtere Zusammenstellungen von immer ausgefalleneren Speisen.
Eines Tages, ich war gerade zwischen dem 13. und 14. Gang angelangt und machte mir Sorgen, ob ein ganzer mannshoher Steinpilz ausreichend für das Abendessen war, drehte sich plötzlich der Wind, und ich roch etwas, das ich auf dieser Insel noch nie wahrgenommen hatte. Es war ein wilder, unangenehmer Geruch wie von tausend Wasserpflanzen, die in einem Hafenbecken verrotten. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich
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