Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
lauter.
»Im Gegenteil! Man würde immer mehr Kraft sammeln und sich zu etwas entwickeln, das wir uns noch gar nicht vorstellen können. Intelligenz in höchster Konzentration, gepaart mit Unsterblichkeit. Ewiges Leben! Ewige Nacht! Ewige Intelligenz!«
Plötzlich gab es ein Geräusch wie von einem Schraubenschlüssel, der zwischen zwei Zahnräder geraten war. Nachtigaller hatte sich wieder einmal verschaltet. Er klopfte mit dem Handballen gegen eins seiner Außengehirne.
»Äh ... aber ich schweife ab ... wo war ich stehengeblieben?«
»Bei Wissensübertragung durch Bakterien.«
»Richtig! Solange du in meiner Nähe bist, wirst du immer klüger. So einfach ist das. Das Problem ist aber, daß dein Gehirn nur begrenzt aufnahmefähig ist. Es kann eben nicht jeder sieben Gehirne haben, nicht wahr«? Deine Aufnahmefähigkeit ist jetzt erschöpft. Deswegen kannst du dich nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren.«
Ich errötete. Er hatte es tatsächlich bemerkt.
»Das ist in Ordnung so! Es bedeutet lediglich, daß deine Zeit gekommen ist.« Seine Stimme bekam plötzlich diesen belegten Ton, den ich schon kannte und der Veränderung verhieß. Ich hatte ihn bei den Tratschwellen genauso gehört wie bei Mac, ich kannte ihn von Fredda und Qwert. Er bedeutete, daß ein Abschied bevorstand.
»Es gibt nichts mehr, was ich dir noch beibringen könnte. Du verfügst jetzt immerhin über das Wissen von einer Hundertschaft von Universalwissenschaftlern, Schachweltmeistern und Gehirnchirurgen, das müßte eigentlich genügen, um eine angemessene Karriere auf den Weg zu bringen. Neue Schüler werden nachrücken, der Raum ist knapp. Kurz und gut: Deine Schulzeit ist zu Ende, mein Junge! Morgen werde ich dich zum Stollenausgang führen. Es ist ein langer Weg durch die Berge bis zum richtigen Ausgang, aber den wirst du schon finden bei deinem Wissensstand. Gute Nacht!«
Das Gespräch, das nun doch wieder ziemlich einseitig geworden war, war beendet. Ich fand nach einigem Herumtasten die Türklinke.
»Ach, und was dein philosophisches Problem angeht, Junge«, rief Nachtigaller mir nach.
»Ja?«
»Du bist weder groß, noch bist du klein.«
»Sondern?«
»Du bist mittel.«
Professor Nachtigaller konnte also tatsächlich Gedanken lesen.
Am nächsten Morgen betrat ich den Klassenraum, als wäre es das erste Mal. Er war mir völlig fremd geworden. Ein neuer Schüler saß auf meinem Platz, es war ein Dodo. Oder genauer gesagt, ein Albino-Dodo, denn er hatte knallrote Pupillen und ein schneeweißes Gefieder.
Ich verabschiedete mich mit Händedruck von Fogelweide, Groot, Zille und dem Dodo, der Hartmut hieß. Ich empfand nicht die geringste Wehmut dabei, diese Klassenkameraden waren mir vollkommen gleichgültig. Ein seltsames Gemisch aus Furcht und Begeisterung überkam mich, als ich Professor Nachtigaller zum Ausgang folgte.
Dort angekommen, tat er etwas, das mich wirklich überraschte, weil es so wenig zu ihm paßte: Er umarmte mich. So nahe war er mir noch nie gewesen, nicht einmal in der vergangenen Nacht. Während er mich kurz an sich preßte, schoß eine Flutwelle von Wissen durch mein Gehirn. Millionen von Buchstaben torkelten zuerst vor meinem inneren Auge, formierten sich dann zu Worten, wissenschaftlichen Fakten, ganzen Abhandlungen und schließlich zu einem Buch, dessen Titel noch einen Augenblick lang deutlich lesbar aufleuchtete und dann verschwand.
Nachtigaller hatte mir sein Standardwerk über Zamonien, das sein gesammeltes Wissen über diesen Kontinent und seine Umgebung enthielt, sozusagen telepathisch auf die Festplatte meines Hirns gebrannt.
»Und noch etwas«, sagte Nachtigaller mit gedämpfter Stimme. »Zwei Regeln: Wenn du Hunger oder Durst hast, leckst du einfach an einer Tunnelwand. Gegen den Durst hilft die Kondensflüssigkeit, die immer an den Wänden haftet, und gegen den Hunger der Schimmerschwamm, der nicht nur leicht fluoresziert und für eine bescheidene Beleuchtung sorgt, sondern auch die Finsterbergalge und damit sämtliche wichtigen Vitamine, Mineralien, Kohlehydrate und Ballaststoffe enthält.«
»Und die zweite Regelt«
»Verlaß dich niemals auf einen Stollentroll!« sagte Professor Nachtigaller.
»Stollentroll? Was ist ein Stollentroll?« wollte ich noch wissen, aber Professor Nachtigaller hatte mich schon in den finsteren Stollen geschubst und war mit wehenden Rockschößen entschwunden.
So wenig einladend das Stollenlabyrinth der Finsterberge war, ich betrat es mit einem
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