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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Kondenswasser, das dort vermutlich schon seit Millionen Jahren klebte - zumindest schmeckte es so. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Gehen konnte man das schon bald nicht mehr nennen, ich wankte zwischen den Tunnelwänden hin und her wie ein Betrunkener, mit hängenden Schultern und baumelnden Armen, das Kinn auf der Brust, ein Bild des Elends, ein wandelnder, verzweifelter Kartoffelsack mit Wadenkrämpfen. Irgendwann verließen mich dann endgültig die Kräfte. Ich setzte mich mit dem festen Vorsatz hin, nie wieder aufzustehen.
    Alle viere ausgestreckt, den Blick auf die Tunneldecke geheftet, blieb ich mehrere Stunden auf dem Rücken liegen. Ich hatte mir vorgenommen, mich aufzulösen, spurlos zu vergehen, zu verrosten wie ein Stück altes Eisen und so ein Bestandteil der Finsterberge zu werden.
    Anscheinend üben rostige Tunnelwände einen ungesunden Einfluß auf zermürbte Gehirne aus, unter anderen Umständen wäre ich niemals auf solch einen Gedanken gekommen. Wenn man sich aber stundenlang in so etwas hineingesteigert hat, kann man wirklich körperlich spüren, wie es ist, zu verrosten. Das ist ein eigentümliches, gar nicht so unangenehmes Gefühl. Man wird vollkommen ruhig und überläßt sich den Naturgesetzen, langsam läuft man metallisch an, dann breitet sich allmählich ein feiner rostroter Pelz am ganzen Körper aus, und schließlich beginnt man zu krü- meln. Immer tiefer nagt sich der Rost in den Körper, Schicht für Schicht bröckelt ab, und bald ist man nur noch ein Häufchen roter Staub, den ein gefangener Windhauch ergreift und in den endlosen Tunnelschächten der Finsterberge verteilt. So weit hatte ich mich schon in diesen Wahn hineinphantasiert, als mich eine weiche, glibbrige, aber nicht unbekannte Masse an der Schulter anstieß. Es war Qwert Zuiopü.
    »Was machst du denn hier?« fragte er besorgt.
    »Ich roste«, antwortete ich.
    Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder halbwegs aufrichten konnte, und tatsächlich war ich erstaunt darüber, daß ich dabei nicht zerkrümelte wie ein morscher Keks. Stöhnend und ächzend löste ich mich vom Tunnelboden, während Qwert unterdessen geduldig wartete. Endlich hatte ich mich aufgerappelt und fühlte, wie das Leben in meine Knochen zurückkroch. Die Anwesenheit von Qwert gab Anlaß zu höchstem Optimismus. Gemeinsam hatten wir schon astronomische Probleme oberster Ordnung gelöst, vereint würden wir den Ausgang schon finden.
    »Ich habe ein Dimensionsloch gefunden«, sagte Qwert. »Ein Dimensionsloch? Das ist ja großartig!« antwortete ich. Es klang wohl wenig überzeugend, denn das bedeutete, daß wir uns bald wieder trennen würden.
    »Es war ganz einfach. Ich bin sozusagen darüber gestolpert. Beinahe wäre ich reingefallen, genau wie damals auf der Krönungsfeier. Komm, ich zeig's dir.«
    Das Dimensionsloch lag direkt um die Ecke, in einem Paralleltunnel.
    Den Zugang zu einer anderen Dimension hatte ich mir allerdings etwas prachtvoller vorgestellt. Um ehrlich zu sein: Ich konnte überhaupt nichts erkennen.
    »Man kann es nicht sehen«, erläuterte Qwert. »Man kann es nur riechen.«
    Ich schnupperte. Ein dünner, mir vollkommen fremder Geruch hing in der Luft.
    »Es ist eindeutig ein Dimensionsloch. Es riecht nach Gennf«, sagte Qwert.
    Ich hatte keine Ahnung, was Gennf war, und ich wollte es auch gar nicht erklärt haben. Qwert hatte das Dimensionsloch schon vor einigen Tagen gefunden. Seither überlegte er, ob er hineinspringen sollte oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit, daß er dabei in seine Heimatdimension gelangen würde, stand eins zu mehreren Milliarden.
    »Vielleicht lande ich in einer Dimension voller Ungeheuer, die sich vorwiegend von Gallertprinzen aus der 2364. Dimension ernähren. Das Risiko ist ungeheuerlich.«
    »Vielleicht hast du Glück.«
    »Ich habe nie Glück. Ich gehöre zu der Sorte Prinzen, die kurz vor ihrer Krönung in Dimensionslöcher fallen.« Ich hatte Qwert noch nie so unentschlossen erlebt. Auch wenn es meinen eigenen Wünschen zuwiderlief - ich muß- te ihn einfach ermutigen, in das Dimensionsloch zu springen. Das war meine freundschaftliche Pflicht. Wenn er es jetzt nicht wagte, würde er es niemals schaffen und auf ewig todunglücklich in unserer Dimension herumirren. Ich suchte nach den richtigen Worten, Worte, die gleichzeitig motivierend, mitfühlend, aufheiternd, trostspendend und von zwingender Überzeugungskraft waren.
    »Los, spring!« sagte ich.
    »Ich kann nicht!« jammerte Qwert.

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