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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Gefühl der Erleichterung. Die Schulzeit war vorbei! Das wahre Leben erwartete mich mit offenen Armen.
    Meine Augen gewöhnten sich schnell an die diffusen Lichtverhältnisse im Stollen, voller Optimismus schritt ich voran. Keine beschränkten Barbaren und hinterhältigen Hempelchen mehr, kein Gejammer von einem lebensmüden Einhorn, nie mehr Ölsardinen und Langeweile. Dieser feuchte, düstere Tunnel war schön, weil er mich in die Freiheit führte. Nachdem ich etwa eine Stunde drauflosmarschiert war, kamen mir erste Bedenken. Was hatte ich eigentlich in diesem trostlosen Labyrinth verloren? Wo war der Ausgang? Außerdem hatte ich Hunger.
    Eine Dose Ölsardinen wäre nicht übel gewesen. Warum war ich nicht einfach in der Nachtschule geblieben? Wieso muß man eine Schule eigentlich verlassen, wenn man sie abgeschlossen hat? Ist das irgendwo gesetzlich verankert? Ich könnte Hilfslehrer der Nachtschule werden, oder von mir aus auch Hausmeister. Ich würde selbst niedrigste Putzarbeiten übernehmen, ohne Gehalt! Alles besser, als in diesem rostigen Labyrinth herumzuirren und sich einem Ungewissen Schicksal auszuliefern! Was wußte ich denn, was mich da draußen erwartetet Eine unübersichtliche bösartige Welt voller Ungemütlichkeiten, Gefahren und Geschöpfen mit schlechten Absichten, das hatte ich bei Mac gründlich gelernt. Vom Rücken eines Rettungssauriers aus war das eine sichere Sache, aber jetzt war ich auf mich allein gestellt. Ich beschloß, zu Professor Nachtigaller zurückzugehen und ihn zu bitten, mich bei sich zu behalten. Wieso war ich nicht schon bei unserem Gespräch gestern nacht darauf gekommen?
    Ich machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück zur Nachtschule. Ja, so ein Leben in den behaglichen Bahnen des Beamtentums konnte ich mir schon ausmalen: An der Seite des Professors würde ich die Fackel der Weisheit weiterreichen an einen nicht enden wollenden Strom von dankbaren Studenten, und in unserer Freizeit würden wir uns der Dunkelheitsforschung widmen. Vielleicht war Nachtigaller ja tatsächlich dem Geheimnis des ewigen Lebens auf der Spur. Ich könnte ihm bei seinen Experimenten assistieren und ihm vielleicht sogar den entscheidenden Hinweis zum Durchbruch geben. Die offiziellen Ehrungen und Preise würden wir zusammen in Empfang nehmen, ich kann Triumphe teilen.
    - Eine Tunnelkreuzung? Ich konnte mich nicht erinnern, vorher an einer Kreuzung gewesen zu sein. Gabelungen ja, Kreuzungen nein. Ich blieb stehen und drehte mich ratlos im Kreis. Ein Tropfen Finsterbergkondenswasser tropfte von der Decke genau auf meine Nase.
    Ich hatte mich offensichtlich verlaufen.
    Hinter jeder Biegung vermutete ich die Erlösung, das Licht am Ende des Tunnels. Aber jedesmal fand ich nur eine neue Weggabelung oder noch vielfältigere Verzweigungen. Ich hielt es für pfiffig, Gänge zu bevorzugen, die abschüssig waren, weil der Ausgang ja am Fuß des Gebirges sein mußte. Aber manchmal ging es einfach stundenlang nur bergauf, die abschüssigen Tunnel mußten sich in einem anderen Bereich befinden. Ich stieg höher und höher.
    Manchmal spürte ich einen Windhauch, und zuerst glaubte ich, er wehe von draußen herein , frische Bergluft, die in den ersehnten Ausgang strömt. Aber dann begriff ich, daß es immer wieder derselbe Windhauch war, ein Gefangener wie ich, der selbst verzweifelt durch dieses Labyrinth irrte und nach dem Ausgang suchte, vielleicht schon seit vielen tausend Jahren.
    Ich versuchte es so zu deuten, daß meine Schulzeit noch gar nicht zu Ende war. Das hier war Professor Nachtigallers Form der Prüfung: Wer es schaffte, das Labyrinth zu verlassen, hatte bestanden. Ich mußte nur nachdenken, in alle möglichen Richtungen.
    Ich überlegte, welche der wissenschaftlichen Disziplinen mir am meisten dabei helfen würde. Mathematik? Philosophie? Biologie? Geologie? Astronomie? Zamonische Lyrik? Ich kam zu dem Schluß, daß mir meine Beine zunächst am meisten helfen würden. Leider waren ausgerechnet die in denkbar schlechter Verfassung, vom ewigen Sitzen, der mangelnden Bewegung und der einseitigen Verpflegung.
    Ich marschierte weiter. Manchmal verfiel ich in leichten Trab, manchmal schlurfte ich vor mich hin, aber immer bewegte ich mich vorwärts, immer nur vorwärts, ohne Pause, bis zur Erschöpfung. Dann sank ich nieder und schlief ein paar Minuten, stand wieder auf und trabte weiter, stundenlang, tagelang.
    Ab und zu leckte ich eine Tunnelwand ab, kostete den rostigen Schimmelpilz und das brackige

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