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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Paradieslilie - alles so trefflich arrangiert wie auf einem Gemälde von Meisterhand. Hier ließ es sich leben.
    Das Blaubärmädchen brachte seinen Tag damit zu, die Tiere zu füttern und die Pflanzen zu hegen, manchmal verschwand es auch morgens mit einem Korb im Wald und kehrte erst zur Dämmerung mit frisch gesammelten Früchten, Beeren und Steinpilzen zurück. Abends zogen dann verlockende Düfte aus dem Haus über die Lichtung, wenn es sich sein Abendessen zubereitete.
    Ich beobachtete das Mädchen bei all seinen Tätigkeiten, beim Jäten im Garten, beim Füttern der Tiere, beim Lesen auf der Wiese - es war also offensichtlich auch noch gebildet. Wie ich mit Entzücken registrierte, war es nicht irgendein Buch, das es da las, sondern Professor Nachtigallers
    Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen and Phänomene Zamoniens und Umgebung!

    Sie besaß tatsächlich ein gedrucktes Exemplar. Was für eine solide Grundlage für endlose gebildete Konversation! War sie vielleicht eine ehemalige Nachtschulenabsolventin, so wie ich? Ich addierte: Sie war schön, intelligent, liebenswürdig zu Tieren, konnte kochen, singen, war eine Bärin und hatte ein blaues Fell. Hier sammelten sich Pluspunkte.
    Ich folgte ihr schließlich auch beim Waldspaziergang, in gebührendem Abstand, von Baumversteck zu Buschversteck huschend, wie ein verrückter, schüchterner Waldgeist. Zahlreiche Tiere liefen ihr zu und ließen sich streicheln, sie tauchten überall aus ihren Verstecken auf, wo immer das Mädchen auch hinging. Eichhörnchen hüpften im Takt ihres Gesangs und piepsten den Refrain mit, ein weißer Hirsch trug gelegentlich eine Weile ihren Korb mit dem Geweih: Sie war offensichtlich beliebt bei allen Geschöpfen des Waldes und geschickt im gesellschaftlichen Umgang. Selbst die rabiaten Wildschweine wurden in ihrer Gegenwart zu verspielten Schoßtierchen.
    Ich bespitzelte sie jetzt schon bei jeder Gelegenheit, vom morgendlichen Gähnen und Gliederstrecken in der Haustür bis zum nächtlichen Auspusten der Kerzen auf der Fensterbank. Und - ich schreibe es unter heftigem Erröten nieder - ich beobachtete sie auch beim morgendlichen Baden im Bach.
    Nie hatte ich ein solch unerklärliches Glücksgefühl nur dadurch empfunden, jemanden einfach zu sehen oder, noch erstaunlicher: nur dadurch, an ihn zu denken. Und dieses Gefühl wuchs mit jeder Stunde, jedem Tag, den ich in der Gegenwart des Blaubärmädchens verbrachte, und mit ihm wuchs auch die Abscheu vor mir selbst und vor meiner Feigheit, mich zu offenbaren. Jeden Morgen versprach ich mir, einen günstigen Augenblick abzuwarten und aus dem Wald zu treten, mich artig vorzustellen und ihr einen Antrag zu machen. Aber dann blieb ich doch wieder zwischen den Rhabarberblättern hocken wie ein verängstigtes Kaninchen. Eines Morgens wachte ich etwas verspätet auf, und das Blaubärmädchen war schon im Wald verschwunden. Eine Weile ärgerte ich mich über meine Verschlafenheit, dann beschloß ich in meiner grenzenlosen Niedertracht, daß dies eine vortreffliche Gelegenheit war, in den Privatbereich des Mädchens einzudringen. Ich schlich über die Lichtung und trat auf die Verandatreppe. Die erste Stufe bog sich unter meinem ungewohnten Gewicht und krächzte einen weithin hörbaren Schmerzensschrei in den Wald. Sofort zuckte ich zurück und horchte. Kam sie zurück? Nein, da war nichts. Also schlüpfte ich über die Veranda durch die Tür in die kleine Wohnküche des Hauses. Mein Gott, war das niedlich! Winzige putzige Täßchen standen da auf den Regalen, wie gemacht für kleine zierliche Hände, daneben Tellerchen, auf die gerade mal ein Bissen paßte, ja, alles in dem Haus schien extra für jemanden gemacht zu sein, der mindestens drei Nummern kleiner war als ich. Ich ging zum niedlichen kleinen Herd und hob den Deckel von einem niedlichen kleinen Topf. Entzücken! Darin befanden sich fünf niedliche kleine Knödel, in sämiger brauner Soße, und bevor ich nachdenken konnte, hatte ich schon einen davon verschlungen.
    Er schmeckte sensationell gut, ein auf die Sekunde genau pochierter Kartoffelmehlklops, perfekt gesalzen und mit Safran verfeinert, außen samtig und innen weich wie ein Pfirsich, mit einem Herz aus einer überirdisch delikat komponierten Masse aus Semmelbröseln, Rosinen und Dörrpflaumen, aus der ein Aroma aus Zwiebeln, Muskat und schwarzem Pfeffer den Gaumen kitzelte, bevor der Knödel wie Sahne auf der Zunge zerging.
    Ich hatte nicht geahnt, in

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