Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
welche Höhen der Kochkunst man ein solch simples Gericht erheben konnte. Aber das war gar nichts gegen die Sofie. Es war eine Steinpilzfarce, wahrscheinlich tagelang bei niedriger Hitze behutsam auf eine Essenz eingekocht, in der sich die handverlesenen Steinpilze in reinen Geschmack aufgelöst hatten. Ein ganzer Wald mit seinem Harzgeruch, dem Aroma von Tannennadeln, der Frische des Morgentaus und den gesunden Säften seiner Beeren und Krauter wuchs auf meiner Zunge. Dies übertraf alle meine Mutmaßungen über die Kochkünste des Blaubärmädchens. Ich wand mich vor Verzückung, als der Klops meine Kehle hinunterrutschte.
Dann kam ich zur Besinnung. Hatte ich damit einen Hinweis auf meine Anwesenheit hinterlassen? Zählte das Blaubärmädchen seine Klöße, bevor es das Haus verließ?
Vier Knödel blieben übrig. Was für eine unsympathische, kalte, viereckige Zahl! Würden sich drei Knödel nicht beträchtlich harmonischer ausmachen, viel weniger Verdacht erregen als vier?
Aller guten Dinge sind drei, das ist doch allgemein bekannt, ergo weg mit dem störenden Kartoffelklops. Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß dieser Knödel den vorhergehenden an Delikatheit noch übertreffen könnte, aber dem war so. Dieser hier hatte ein Herz aus Aprikosenzimt, raffiniert mit gestoßenem weißen Pfeffer geschärft. Köstlich! Ich jauchzte und brummte und hätte mich am liebsten auf dem Boden gekugelt vor Begeisterung. Noch nie hatte ich etwas so Feines gegessen. Welche Überraschungen verbargen wohl die drei übrigen Knödel unter ihrem samtweichen Mantel? Würde es einen spürbaren Unterschied machen, wenn das Blaubärmädchen nur zwei Knödel vorfände statt drei? Wohl kaum. Der nächste Klops hatte eine Rhabarberquarkfüllung, mit Honig abgeschmeckt. Der Gipfel der Genüsse! Es ist ja hinlänglich bekannt, daß Honig eine gewisse Anziehungskraft auf Bären besitzt. Genau in der Mitte des Knödels, doppelt geschützt vom Klopsteig und der Quarkfüllung, saß ein haselnußgroßer Klecks aus reinem Akazienhonig, der mich, als er völlig überraschend auf meine Zunge traf, in eine regelrechte Geschmacksekstase versetzte, die mich sogar veranlaßte, ein wenig das Tanzbein zu schwingen. Ich verfiel sozusagen in eine Art Knö- delhuldigungstanz, bei dem ich in Indianerart im Kreis hopste und rhythmisch brummte, eher nebenbei schlang ich dabei auch noch die beiden anderen Knödel in mich hinein (einer mit Mirabellenmarmelade, der andere mit Preiselbeeren und Weichkäse gefüllt). Dann fing ich an, den Topf auszuschlecken. Ich beugte mich über den Herd und schlabberte die Pilzsoße wie ein halbverdursteter Schlittenhund.
»Guten Tag«, sagte da eine Stimme hinter mir.
Ich fuhr hoch und drehte mich um.
Es gibt zwei Anblicke in meinem Leben, die auf mich den Eindruck vollkommener Schönheit gemacht haben. Einer war der Ausblick über das Eisgebirge des Polarkreises, von Macs Rücken aus, vom Nordlicht beleuchtet. Der andere war, trotz aller Peinlichkeit des Augenblicks, der des Blaubärmädchens, das da mit einem Korb voller Birnen in der Tür stand und lächelte.
»Ich, aah, äh, bu, äh«, stotterte ich hilflos.
Sie sah mich an, und in ihrem Blick war weder Überraschung noch Angst, geschweige denn Ärger oder Zorn. Im Gegenteil, es war ein Ausdruck darin, der völlig im Einklang mit dem war, was in mir selbst vorging. Dies war der Blick eines hoffnungslos verliebten Blaubärmädchens.
Das ganze peinliche Versteckspiel war völlig überflüssig gewesen, wir waren füreinander bestimmt, wir würden beide zusammenleben für alle Zeiten, hier auf dieser Lichtung oder auf einem Schiff auf hoher See, wohin das Schicksal uns eben trieb. Ich hatte meinen Platz im Leben gefunden, die rastlose Suche war vorbei, nur noch drei Schritte trennten mich von meinem zukünftigen Glück. Ich ließ alle Schüchternheit fallen, ging beherzt auf sie zu und umarmte sie.
Sie fühlte sich sehr dünn und klebrig an, wie ein Schiffstau, das mit Teer bestrichen ist. Sie sah plötzlich auch aus wie ein geteertes Schiffstau. Oder besser gesagt: Das Blaubärmädchen war verschwunden, und an ihrer Stelle spannte sich nun ein klebriges Seil. Auch das Haus hatte sich in Luft aufgelöst. Die Lichtung war zwar noch da, aber in ihr hingen lediglich kreuz und quer dünne schwarze Stränge, kunstvoll und systematisch verknüpft, wie in einem Spinnennetz. Und an einem dieser Taue klebte ich fest.
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen
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