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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und
Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
    Waldspinnenhexe, die: Die gemeine Waldspinnenhexe oder Hexenspinne [Tarantula valkyriä] gehört zur Familie der vierlungigen Großspinnen, wie etwa die Vogelspinne, wird aber entschieden größer, verfügt über bisher noch nicht genau erforschte Netzfangtechniken, weil noch kein Forscher, der ihr genügend nahegekommen ist, jemals zurückkehrte. Die Waldspinnenhexe wird den zamonischen Daseinsformen mit unfairen Lockmethoden zugerechnet, wie auch die -> fleischfressende Auster, die -> Gourmetica Insularis oder der giftige ->Prinzenfrosch. Die Hexenspinne ist gewöhnlich schwarz, dichtzottig rothraun oder fuchsrot behaart, an den erweiterten, flachgedrückten Endgliedern der Beine und Palpen kupferrot befilzt und ist wegen ihrer schlechten Umgangsformen und ihrer hinterhältigen Natur hei anderen Lebewesen wenig geschätzt, aufler bei der Tarantelzecke, einem Parasiten, der in ihrer Befellung haust. Ihr Biß kann [je nach Körpergröße des Opfers] harmlos, gesundheitsschädlich oder absolut tödlich sein. Ein ausgewachsener Bollogg z.B. wird ihren Biß kaum spüren, bei einer etwa sechzig Meter langen Wasserschnecke kann er aber schon eine mehrwöchige Entzündung im Bißbereich verursachen, mit einhergehenden Schwindel- und Asthma-Anfällen. Bei Lebewesen unter 15 Meter Körpergröße wirkt der Biß nicht nur tödlich, sondern führt unweigerlich zur völligen Auflösung des Opfers in eine roheiweißähnliche, zähe, leicht verdauliche Flüssigkeit, die die Hexenspinne dann mit ihren Sauglefzen schlürfen kann. Sie wird bis zu acht Meter groß, hat je nach Lebensalter vier bis acht Beine [mit vier Beinen wird sie geboren, dann kommt alle hundert Jahre ein Bein hinzu), zwölf Augen, vier schnabelähnliche Mäuler und trägt im oberen Kopfbereich eine trichterförmig spitz zulaufende Hornschicht, die entfernt an einen Hexenhut erinnert und ihr den Namen gegeben hat. Vermutlich dient das Horn dazu, ihre Opfer aufzuspießen, um sie zu ihrem Vorratsnetz zu transportieren. Die Waldspinnenhexe kann ein klebriges Sekret absondern, welches Wahnvorstellungen wunschtraumhafter Art erweckt, d.h., die Halluzinationen, die es hervorruft, gaukeln dem Opfer vor, was es sich am sehnlichsten wünscht. Mit diesem Sekret überzieht die Hexenspinne ihre Fangnetze. Da sich die Waldspinnenhexe in keinerlei Evolutionsschema einordnen läßt, nimmt man an, daß sie entweder durch Kometeneinfall oder ein Dimensionsloch nach Zamonien gelangt ist. Sie nistet ausschließlich im Großen Wald, für den wir daher an dieser Stelle eine nachdrückliche Umgehungsempfehlung aussprechen möchten.
    Vielen Dank, Professor Nachtigaller! In der Nachtschule hatte ich alles über den Großen Wald gelernt, ich wußte, daß er eine mit gesellig wuchernden Vegetationsformen bestandene Fläche von siebzehntausend Quadratkilometern war, dessen Gewächse von immergrünem Gehölz über Moosflora bis hinab zu unterirdischen Trüffelpilzen reichen. Ich konnte sämtliche Pflanzen des Waldes mit ihrem lateinischen Namen rufen und anhand von Borkenanalyse feststellen, wie alt jeder einzelne Baum darin war, aber daß eine allesfressende Hexenspinne darin haust, erfahre ich erst in dem Augenblick, in dem ich in ihrem Netz erwache.
    Manch einer wird es schon geahnt haben, wahrscheinlich war ich der letzte, der es gemerkt hat, aber Liebe macht ja bekanntlich blind: Das wunderschöne Blaubärmädchen war gar keins. Es war nicht nur kein Blaubärmädchen, es war nicht mal ein Mädchen, geschweige denn überhaupt irgendwas. Es war lediglich eine Illusion, eine Wahnvorstellung meines Gehirns, ausgelöst durch die hypnotisierenden Dämpfe, die aus der Flüssigkeit aufstiegen, an der ich festklebte. Ich hatte geglaubt, ganze Tage auf der Lichtung verbracht zu haben, dabei war alles in wenigen Minuten, vielleicht nur Sekunden geschehen. Ich hatte mich wahrscheinlich mit offenen Armen in das klebrige Gitternetz der Spinne gestürzt, und jetzt hing ich darin fest wie eine ordinäre Stubenfliege.
    Zunächst versuchte ich, meine Hände loszubekommen. Der Klebstoff war zähflüssig, ich konnte meine Hände einen guten Zentimeter hin und her bewegen, aber nicht vom Netz lösen, sosehr ich mich auch bemühte. Ich mobilisierte meinen Optimismus. Vielleicht gab es in dieser Gegend ja gar keine Waldspinnenhexe mehr. Vielleicht hatte sie nur ein Netz gespannt und war dann in einen anderen Teil

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