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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Einweihungsparty gefeiert hatten. Die Gimpel lagen alle noch in den Betten (die meisten zum ersten Mal in ihrem Leben), ein dünner Morgennebel lag über der Stadt, der sicher bald zügig von der rabiaten Wüstensonne weggebacken würde. Ich war sicher, daß wir fast alle Lebensmittel verspeist hatten, aber jetzt waren alle Körbe wieder wohlgefüllt, die Schinken frisch und unangebissen, als wären über Nacht die Zuckergnome dagewesen.
    Ich aß einen Apfel, aber es stellte sich keine Sättigung ein.
    Die Gimpel gewöhnten sich nicht so schnell an das städtische Leben, aber sie gaben sich alle Mühe. Die meisten schlafwandelten nachts, liefen ruhelos durch die Straßen, weil ihnen das Wandern fehlte. Manche machten sogar einen regelrecht deprimierten Eindruck. Bislang hatten sie sich nicht allzu viele Gedanken darüber machen müssen, was sie mit ihrer Zeit beginnen sollten, sie waren einfach gewandert, das war ihr Lebensinhalt. Jetzt waren sie angekommen und wußten nichts damit anzufangen. Als Auserwählter und Fänger von Anagrom Ataf fühlte ich mich verantwortlich dafür, den Gimpeln die Seßhaftigkeit näherzubringen. Ich organisierte einen Kursus, in dem »Wohnen« beigebracht wurde. Wohnen kann man nicht so einfach, das muß gelernt werden, besonders wenn man bisher nur ruhelos durch die Gegend gezogen ist. Zuerst zeigte ich den Gimpeln, wie man auf einem Stuhl sitzt. Wir hatten ein paar Stühle auf den Marktplatz gestellt, an denen wir übten. Die Gimpel stellten sich sehr ungeschickt dabei an, setzten sich neben die Stühle, fielen mit ihnen um oder stiegen auf sie hinauf und trauten sich dann nicht mehr runter. Nachher hatten sie noch mehr Angst vor Stühlen als vorher. Ebenso war es mit dem Liegen im Bett. Die Gimpel kamen mit den Betten nicht zurecht, sie waren ihnen viel zu weich, manche füllten sie mit Wüstengeröll oder legten sich daneben oder darunter.
    Selbst so fundamentale Tätigkeiten wie das Betreten eines Hauses durch die Tür waren keine Selbstverständlichkeit. Die Gimpel kletterten durch die Fenster, weil sie nicht wuß- ten, wie eine Klinke funktioniert, sie sperrten sich ein oder aus und verloren die Schlüssel. Viele Gimpel wohnten daher lieber gleich auf der Straße. Häuslichkeit war und blieb ihnen völlig fremd.
    Als Auserwählter stand ich im Zentrum aller Probleme und mußte Unmengen von Fragen beantworten. Wie macht man ein Bett? Wie heizt man einen Ofen? Was macht man mit einem Schrank? Was macht man mit einem Besen, mit einem Tisch, mit einem Besteck? Wie öffnet man ein Fenster? Wozu dient eine Treppe? Lauter Dinge, die für einen Seßhaften selbstverständlich waren, stellten für die Gimpel größte Probleme dar. Wie wohnt man? Warum wohnt man? Fragen über Fragen.
    Das größte Problem war die Instabilität der Stadt. Anagrom Ataf war ja eine halbstabile Fata Morgana, das bedeutete, daß gewisse Teile der Stadt immer wieder verschwanden, um nach einer Weile wiederaufzutauchen. Möbel lösten sich in Luft auf, ganze Häuser waren auf einmal weg. Am nächsten Tag waren diese Dinge wieder an ihrem Platz, aus heiterem Himmel stand plötzlich eine Mauer wieder da, wo sie gestern verschwunden war. Manchmal verschwanden sogar ganze Stadtteile, waren am nächsten Tag aber wieder an ihrer Stelle. Das Leben in Anagrom Ataf war völlig unberechenbar. Es konnte passieren, daß man sich hinsetzen wollte, und der Stuhl verschwand unter dem Hintern. Das war noch harmlos. Mehrere Gimpel stürzten einige Meter tief, weil sie im zweiten Stock eines Hauses geschlafen hatten, das sich in Luft auflöste. Ein Gimpel lief frontal gegen eine Mauer, die sich plötzlich aus dem Nichts vor ihm aufbaute. Unfälle dieser Art ereigneten sich beinahe täglich. Bald schlief man nur noch im Erdgeschoß und bewegte sich nur sehr langsam.
    In meinem Haus stand auf dem Küchentisch ein Teller mit dampfendem Kartoffelbrei, als ich es zum ersten Mal betrat, deswegen hatte ich es ausgewählt. An einem Haus, in dem ein dampfender Teller Kartoffelbrei auf dem Tisch steht, kann nicht soviel verkehrt sein, dachte ich mir.
    Ich aß jeden Abend diesen Teller leer, nie verschaffte es mir Sättigung, aber wenn ich am nächsten Tag erwachte, war er wieder voll. Ähnliche Dinge passierten auch einigen Gimpeln. Leergegessene Obstschalen füllten sich über Nacht, weggeräumte Wäschestücke waren wieder da, Möbel wurden verrückt, offene Türen geschlossen, Fensterläden geöffnet, immer hinterrücks oder des Nachts,

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